(Unknown) Comedy
Archäologie der Songs
Bücher
Diagnose
Durch Schall und Rauch
Geschichte kurz
Ich wollte was schreiben über:
Ich würde gerne wissen, was ich gemeint hab, als ich in mein Notizbuch schrieb:
Im Kino (gewesen)
Konzerte
Liedtexte oder Zitate
Musik
Probe Objektiv
SB Warenhaus
Spracherkennung
Traumtagebuch
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
La disposition des matières est nouvelle. Non-Casual Blogging.™

 

Musik

Was war in meiner Musiksozialisation wirklich wichtig? Immer wieder stoße ich, wie ein Archäologe, auf vergessene Elemente meiner Musiksozialisation. Manchmal sind es strukturelle Elemente, manchmal inhaltliche.

Jedes Mal, wenn ich mir sicher bin, ich hätte das Puzzle meiner musikalischen Vergangenheit zusammengesetzt, taucht ein neues Stück auf, für das auch eine Lücke da ist. Dazu gehören auch oft guilty pleasures.

Ich kam unlängst auf die Musik der Erste Allgemeine Verunsicherung (EAV). Wie ich darauf kam? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich schon viel früher hätte drauf kommen müssen, weil ein guter Freund eine Zeitlang bei Treffen immer „Tirili tirilo tirila“ gesagt hat. Einfach so zwischendurch. Ich dachte damals: EAV, klar. Aber dass sie eine Zeitlang sehr wichtig für mich waren, hatte ich vergessen.

Pub-Musik = Pop-Musik. So zumindest ist es im Falle von „Landscape of our lives“ dem zweiten Album von The Boys of Summer, einer sechsköpfigen Band aus Berlin. Wie ein Unplugged-Event klingt „Landscape of our Lives“, viele musikalische Ideen sprudeln da durcheinander.

The Boys of Summer aus Berlin: Urban-Folk deluxe
Mit der Stimmung in dem Song, die der Band den Namen gegeben hat, ist die Musik von „The Boys of Summer“ aber kaum zu vergleichen. Das Stück von Don Henley, das für den Bandnamen Pate stand, ist melancholisch und verwaschen. Davon ist bei The Boys of Summer fast nichts zu hören. Glasklar ist dieses Album produziert und versucht fast durchgehend zum Tanzen anzuregen. Mitreißend für einen After-Work-Abend im Pub – mit kleinen nachdenklichen Elementen, so mäandert „Landscape of our Lives“ manchmal etwas verloren dahin. Als Hochzeitsband würden The Boys of Summer sicherlich beste Stimmung zaubern. Vielleicht ist das aber auch gleichzeitig ein Problem – bei Hochzeitsbands passt keiner so richtig auf, weil ihnen ein wenig der Charakter fehlt und die eigentliche Musik woanders spielt. Charakteristisch ist die Stimme von Sänger und Hauptsongwriter Stephan Albrecht aber auf jeden Fall. In den besten Momenten klingt sie ein wenig wie die von Kai Wingenfelder von Fury in the Slaughterhouse. Der Musik fehlt allerdings eine Portion Intensität und Schweiß. Aber vielleicht sind Intensität und Schweiß auch einfach bei der Aufnahme auf der Strecke geblieben.

Trauriger Robert the Robot: Wo ist der Schmalz?
Ist man beim letzten Stück „Robert the Robot“ angekommen, wünscht man sich, dass sich The Boys of Summer soundtechnisch etwas mehr getraut hätten: mehr Reverb, ein bisschen Delay, ein bisschen „Raum“ für alle Instrumente – „Landscape of our Lives“ krankt daran, dass oftmals noch die Vorstellung vorherrscht, alles Rauschen, alle Fehler, aller Krach müsste aus der Musik verschwinden, damit es sauber klingt. Live sind The Boys of Summer sicherlich mitreißender als auf diesem Album.

Mark Kozelek erzählt sich selbst auch auf diesem Album seine alltäglichen Geschichten – dabei scheint er inzwischen davon schon ziemlich gelangweilt zu sein.

Sun Kil Moon – jetzt mit Extra-Langeweile
Die letzten Sun Kil Moon Alben klangen erschreckend gleich. In die Länge gezogene musikalische Tropen, unterlegt von einem relativ dumpf aufgenommenen Gebrabbel. Langweilige und interessante Geschichten und Anekdoten geben sich spätestens seit dem Album „Universal Themes“ die Klinke in Hand. Mark Kozelek wird nicht müde, die ihm wichtigen Dinge des Alltags auch uns Hörern zu verkünden. Auf diesem Album auch die inzwischen sicherlich überall angekommene Weisheit, dass es längst zu viele Streaming-Portale wie Netflix und Amazon Prime gibt. Wer gerne ein wenig wegdösen will, kann bei diesem Album gerne genau weghören.

Mark Kozelek – bald wie Bob Dylan?
Interessant wäre es, wenn Mark Kozelek seine langen Geschichten besonders deutlich erzählen würde, oder wenn es andere produktionstechnische Feinheiten gäbe, an denen man sich festhalten könnte. Aber nichts: Sun Kil Moon eiern vor sich her als hätte man nichts besseres zu tun, ganze 90 Minuten lang. Ich meine, vielleicht denkt Mark Kozelek ja, er würde demnächst als der postmoderne Bob Dylan angesehen weil er so lange Texte schreibt. Aber ich glaube das eher nicht. Sun Kil Moon veröffentlichen jetzt das dritte oder vierte Album nacheinander, bei dem eine Art Tagesablauf inkl. aller sinnloser und sinnvoller Gedanken vertont wird. Ein Album davon war spannend – drei Alben davon sind nur noch nervig.

B. Fleischmann ist ein Elektronik-Veteran in Deutschland und heute ist sein neues Album „Stop Making Fans“ erschienen.

Fleischmann und die Elektronik
Damals, 2002 oder 2003 gab es Fleischmann im Vorprogramm von The Notwist und mit den Alben „Welcome Tourist“ und „The Humbucking Coil“ zementierte Fleischmann Deutschland als würdigen Vertreter intelligenter elektronischer Musik, oder auch intelligenter Tanzmusik kurz IDM genannt. Mit der Zeit wandelte sich das allerdings zu einem eher uninspirierten Geplänkel auf folgenden Alben. Außerdem lächelten sich Freunde und ich immer dann verlegen an, wenn der Gesang einsetzt. Muss das jetzt sein, fragten unsere Blicke. Nein ist die Antwort. Und das geht mir persönlich bis heute so mit den Fleischmann-Alben. Auch die Gastsängerin Gloria Amesbauer ändert leider nichts daran. Beide Stimmen wirken ungeübt, ungelenkt und generisch. Wie Stimmen, die selten zum Singen benutzt werden.

Stop making uninspired albums
Das neue Album „Stop Making Fans“ kann nur sehr selten bestechen und wirkt wiederum relativ beliebig. Electronic without a cause. Niemand benutzt elektronische Musik so sehr wie ein reguläres Instrument wie B. Fleischmann. Als hätte er aus Versehen einen Synthesizer anstatt einer Gitarre in die Hand genommen. Das könnte sehr interessant sein, es könnte die Energie von Rockmusik beinhalten oder den Eklektizismus klassischer Musik, aber stattdessen wirkt das neue Album streckenweise wie eine Elektronik-Version der Flippers. Ich war drauf und dran das Album größtenteils als „unhörbar“ zu bezeichnen. Mit dem weiteren Hören wurde ich etwas ruhiger und bemerkte, dass ich als Hörer natürlich etwas „erwarte“ und etwas „möchte“ und es schwierig ist, neue Alben nicht gleichzusetzen mit einem Haufen „neuer Ideen“. Der Klangraum ist den älteren Alben von B. Fleischmann sehr ähnlich, stimmungsmäßig geht es hier aber tendenziell noch fröhlicher zu als bei allen Vorgängern. Trotzdem merkt man im Detail, wie gut B. Fleischmann mit dem Einsatz von Delay und Reverb spielt – ersteres viel und zweiteres weniger. Bei B. Fleischmann klingt kein Elektronik-Track wie der andere und das Album ist im besten Sinne als heterogen zu bezeichnen. Die Stimmung trägt aber nicht über das Album – B. Fleischmann möchte anscheinend auf keinen Fall minor scales (wer mal „The Long Wait“ von Styrofoam in 2003 gehört hat, weiß wie schön traurige Elektronik klingen kann) zulassen, alles ist auf Dur ausgelegt – und irgendwie passt mir das nicht in diesem Winter. Vielleicht wäre eine Release im Mai anders bei mir angekommen.

Tocotronic veröffentlichen mit dem neuen Album Die Unendlichkeit einen unwiderstehlichen Soundtrack zum Widerstand der Welt vor 25 Jahren. Das ist charmant, entspannt und besitzt unterschwellige Sprengkraft.

Tocotronic – Die Unendlichkeit: unendlich charmant
Wenn Tocotronic eins in den letzten 15 Jahren nicht waren dann entspannt. Seit Pure Vernunft darf niemals siegen 2005 versuchten sie, mir etwas beizubringen. So empfand ich jedes einzelne Album mit ein paar wenigen Ausnahmen an Songs. Das hat sich mit dem neuen Album erledigt. Tocotronic gehen hier einen ganz anderen Weg: Autobiografische Geschichten der Bandmitglieder der letzten 30 Jahre strahlen bis in die Gegenwart und eröffnen alten und neuen Hörern vor allem die Möglichkeit, sich selbst ein Bild der Vergangenheit zu machen. Warum das für die Gegenwart relevant ist? Tocotronic sind bis heute schöpferisch tätig geblieben, schreiben Songs und gehen auf Tour. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Das, was Tocotronic damals verkörpert hat, gab viele Versprechen für den Indie-Bereich ab. Gehalten wurden davon wenige. In der damaligen Zeit nahm man es mit Sellout und Authentizität extrem ernst. Bevor es durch das Internet extrem leicht wurde, seine Stimmen und Klänge zu verbreiten. Wer sich da für einen zuerst unnachvollziehbaren Richtungswechsel wie bei K.O.O.K. entschied, musste viel Mut und eine eigene künstlerische Vision mitbringen. Aber von da an ging es auch ein bisschen verkrampft bei Tocotronic zu. Die Band sprach zu mir als Fan, nicht mehr mit mir. Das stieß mich ab. Vom aristotelischen Theater der Einfühlung zum epischen Theater der sichtbaren Äußerlichkeiten. Aber das war nicht stringent genug durchgezogen.

Alles anders auf Die Unendlichkeit. Mehr einfache Struktur, weniger Drama, mehr Zugang, geöffnete Türen, man kann mit Sänger Dirk wieder mitgehen. Bedeutende deutschsprachige Musik. Puh, so eine Bürde und so eine Bedeutung, da schläft man am liebsten gleich ein. Aber auf Die Unendlichkeit ist das mit der Leichtigkeit rundum gelungen. Produziert ist das Album „solide“. Es gibt bei Tocotronic eh nie das, was man die Loudness Wars nennt, aber leider schillern wenige Songs so wie der Opener, das ist schade. Allein die dem Album gleichnamige Single „Die Unendlichkeit“ ist unschlagbar was die Erschaffung eines wundervoll großen Klangraums angeht. Auf „Bis uns das Licht vertreibt“ funktioniert das auch sehr gut. Allein – zum Glück gibt es hier keine reine Funktion. Das neue Tocotronic hat Charme. Die Unendlichkeit ist viel zu attraktiv um zu widerstehen.

Björk’s neues Album Utopia landet zur rechten Zeit auf der Erde. Aus dem Raumschiff steigt ein fasanenartiges Wesen, aus dessen Poren Regenbogen sprühen. Utopia von Björk schillert und flirrt gegen jede Dunkelheit der Gegenwart an – und bleibt manchmal doch nur fremd.

Live aus dem Dschungel: Utopia von Björk
Das Album bewegt sich in langsamen Tänzen aus Flöten- und Streicher-Sounds gemischt mit elektronischen Beats. Der Titeltrack „Utopia“ beweist die direkte Verbindung von Musik und Flora und Fauna, die Björk auf dem gesamten Album zu transportieren versucht. Wie stellt man am besten eine außerirdische Naturverbundenheit und -nähe in musikalischer Form dar? Utopia liefert dafür eine Blaupause. Klassische Instrumente und daraus hervorgezauberte klassische Klänge – und ebenso elektronische Klänge als Naturgewalt. Freiheit spiegelt sich in fast jedem Arrangement auf diesem Album wider. Während man sich am Anfang noch aus seinem un-natürlichen Alltag bei den Klängen von Utopia windet, hat man sich schnell an das Ausufernde gewöhnt und gibt sich hin. Wenn mal eine Art Beat eintritt, wirkt das fast schon störend. Utopia klingt so ganz und gar nicht düster wie das beispielsweise „Army of me“ vor mehr als 10 Jahren das noch getan hat. Was hier verzerrt im Hintergrund klappert und rattert, erfordert Aufmerksamkeit und verwischt manchmal ein wenig die Reinheit der größtenteils harmonischen und doch wenig poppigen Klänge. Das ein oder andere Mal hätte Björk vielleicht auch ein paar Percussion-Elemente weniger setzen können. Vielleicht ist das auch der Moment eines Künstlers, wenn man schon so ein kaleidoskopiges Werk schafft, in jedem Track auch das Maximum an Wendungen herausholen zu wollen.

Björk: Im Dschungel verlaufen und wiedergefunden
Aber auf die Dauer des Albums verlaufen sich die ganzen Sounds und Gesangsmelodien ein wenig in Beliebigkeit. Aus der Sammlung von Ideen einen roten Faden herauszukristallisieren, fällt schwer. Es muss auch nicht sein. Auf Utopia kann auch jeder Track für sich stehen. Wenn man lange durch den Dschungel gelaufen ist, sieht irgendwann alles gleich aus und man möchte eigentlich nicht noch eine Runde drehen sondern auch mal ankommen. Die Begegnung mit etwas, das auf die Erde gekommen ist um Frieden und Farben zu bringen – so steht man als Hörer im Dschungel vor Björk und ihrem Raumschiff. Und hofft dann darauf, dass ein paar Jahre vergehen und man sich dann vielleicht schon kennt und beim Hören nicht immer alles neu lernen muss.

Während der Mainstream Geschichten aus den Brennpunkten der Clubs erzählt, steht draußen eine Gruppe Rejects und raucht eine nach der anderen. Einer aus dieser Gruppe ist Emmanuel Bevan aka Burial.

Burial – Der Rhythmus ist zurück
Auf der neuen 12″ gibt Burial sich wesentlich clubbiger als auf den schwebenden beiden 12″ davor. Vom Breakbeat und Dubstep hin zum verkratzten Ambient hat es ein paar EPs gedauert, aber mit Subtemple / Beach Fires und Young Death / Nightmarket war es dann soweit: Nachdem die Startraketen abgetrennt wurden, schwebte Burial im Raum. Jetzt ist er mit Pre Dawn / Indoors auf dem Mond gelandet und dort findet eine Party statt. Musik gehört wird nur mit Helm auf. So klingt die 4/4 Bassdrum und die Vocal-Samples auf der neuen 12″.

Pre Dawn / Indoors
Die Titel beschreiben dieses Mal relativ genau, welches Gefühl beim Hören entstehen kann: Irgendwo mitten im erlösenden Techno-Beat taucht die Müdigkeit wie ein Störfaktor auf und möchte, dass man doch nach Hause geht. Auch wenn die Nacht versprochen hat, dass sie niemals enden könnte. Pre Dawn und Indoors sind angefüllt mit lauter Sounds aus dem klassischen Techno, aber hier fehlen die Mitten, hier wurde ziemlich viel Hall hinzugefügt und hier kommt man nicht mit dem schnellen Kick nach Hause. Hier hat sich etwas mit Widerhaken im Kopf festgesetzt: Diese letzten beiden Tracks von Burial sind wesentlich fordernder als alles, was in den letzten 5 Jahren von ihm erschienen ist. Auch wenn sich niemand so richtig traut, eine kritische Rezension zu Burial zu schreiben, war das Echo auf die letzten beiden 12″ eher verhalten. Was fängt man mit Ambient-Recordings an, die so wenig Platz zum Abfeiern bieten?

Kein schneller Kick bei Burial
Auch wenn die Bass Drum mit ordentlich BPM schlägt, gibt es bei Burial nie den schnellen Kick. Auf dieser EP zeigt Emmanuel Bevan – wie erwartet? – einmal mehr, dass es keine vorhersehbare Entwicklung bei der Musik von Burial gibt. Immer wieder neu werden lauter Versatzstücke aus der klassischen britischen Club-Szene der 90er Jahre neu gemischt, neu verwertet, neu aufgelegt.

Karin Dreijer Andersson klingt auf ihrem neuen Album „Plunge“ mehr denn je nach The Knife. Auch wenn das Projekt mit ihrem Bruder seit „Shaking the Habitual“ 2013 nichts Neues mehr veröffentlicht hat, hat Fever Ray auf „Plunge“ eine spürbare Injektion The Knife abbekommen.

Mit nur einem Vorab-Release vor einer Woche, der Single „To the Moon and Back“, hat Fever Ray sich vor dem Album-Release „Plunge“ zurück gemeldet. Visuell sehr eindringlich paart Karin Dreijer Andersson ihre Musik mit einer visuellen Komponente. Nach „Silent Shout“ wurden die Outputs der beiden Geschwister aus Schweden immer mehr ein Gesamtkunstwerk aus Performance, AI, Musik und bewegtem Bild – hinter dem die beiden Personen selbst mehr und mehr verschwinden. Das neue Album „Plunge“ trägt aber eindeutig Karin Dreijer Anderssons Handschrift.

Fever Ray „Plunge“ – Wacht auf!
Ein pulsierendes schwarzes Lullaby war das Debüt-Album von Fever Ray, der Nachfolger „Plunge“ lullt nicht gerade ein. Schneidender sind die Sounds, sie tun mehr weh. Die Stimme sägt sich durch manche Tracks, verschwunden sind nicht die Effekte, auch nicht die Verzerrung, aber die Downpitch-Vocals sind weg. Während das erste Album in sich gekehrt war, ist das neue Album „Plunge“ expressiv. Raus mit den Sounds aus den Synthies, und zwar nicht zu knapp. Manchmal wirkt das Soundgerüst einzelner Songs leider zu verlaufen, als hätte man sich wenig für ein Trademark entscheiden können. Fever Ray kopiert sich nicht, sie erfindet sich neu, trotz relativ limitierten Soundraums.

Plunge mit provokativen Texten
Karin Dreijer wirft mit ihrem neuen Album Fragen auf: Wir sind alle schon so ok mit der Kulturlandschaft im Zwischenmenschlichen, aber IST das eigentlich alles ok? Müssen wir zurück, müssen wir weiter gehen? Auffällig sind bei den Texten immer wieder die Beschreibungen konkreter Szenen, Begegnungen, einem Austausch, einem Dialog. Im Zusammenprall von Mensch auf Mensch knallt es. Karin Dreijer beschreibt das alles vertraut, entfremdet, intim, distanziert. Die ganze Palette zwischenmenschlicher Gefühle rund um Gedanken und dem profan Körperlichen ist Thema. Das ist spannend und aufregend – und existiert in dieser Form nirgendwo sonst in der Popkultur.

Was ist neu am neuen Fever Ray Album?
Hey, what’s new, fragt die Pop-Musik immer wieder. Und meistens muss man antworten: Ähm, gar nichts. Und dann gibt es ein paar Ausnahmekünstler in diesem riesigen Kosmos, die es geschafft haben neu zu bleiben. Neu und bleiben schließen sich eigentlich aus. Das Beständige ist nicht Teil der Popkultur, sondern lediglich vielleicht die Wiedergeburt. Aus den analogen Synthie-Sounds, die jetzt mindestens schon so lange eine Renaissance erleben wie sie tot waren, erwächst bei „Plunge“ ein um die andere komplexe Melodie. Das ist für 2-3 Stücke angenehm, auf Album-Dauer fehlt mir das, was vor 8 Jahren so eindringlich war: Dass hinter diesem Projekt der Blitz einer Idee stand: Bis zum Nachfolger hat man vielleicht denken können: Wie schön dieser Diamant Fever Ray bis jetzt nachglitzert. Aber durch „Plunge“ wirkt das Fever Ray – Werk eher ein klein wenig verwässert. Vielleicht wird durch das dritte Album 2025 alles wieder fokussierter. Bis dahin halten wir uns eher an das Debüt.

Bayon – Stell Dich mitten in den Regen (Ostrock)
In der DDR gab es einige interessante Rockbands, die mehr oder weniger stummen Widerstand mit verklausulierten Texten geleistet haben. Ob Widerstand oder nicht, die Musik vieler Ostrock-Bands ist in der Tradition des Krautrocks gehalten gewesen: Ausufernde instrumentale Passagen, proggige Songstrukturen, erdiger Sound. Beim Anschauen des deutschen Films „Das Leben der Anderen“ fiel mir letztens „Stell Dich mitten in den Regen“ von Bayon auf. Als ich den Film vor 10 Jahren zum ersten Mal gesehen habe, war mir der Song schon aufgefallen und seitdem weicht er nicht von meinen Playern. Ostrock-Bands hatten teilweise sehr schöne Musik zu bieten, zu nennen wären da Karat „Schwanenkönig“ und City „Am Fenster“. Klar haftet diesen Bands teilweise inzwischen etwas sehr Schlagerhaftes an. In einer strengen Sichtweise erkennt man in vielen Postrock-Bands Ursprünge bei den Ostrock-Bands.

City – Am Fenster (Rehearsal-Room Version)
Und wenn wir schon bei Ostrock sind: City haben 1977 einen Klassiker des Ostrocks abgeliefert: „Am Fenster“. Diesen Hit spielt die Band immer noch regelmäßig bei Konzerten, auch wenn das inzwischen Fernsehgarten-Niveau hat. In den 70er Jahren hatten diese Songs natürlich noch einen ganz anderen Hintergrund und auch eine andere Wirkung. Man nimmt Songs aus ihrer Zeit und sie verlieren viel ihrer Bedeutung, ist es nicht so?

Chris Cornell – Pillow of Your Bones
Vor einigen Monaten nahm Chris Cornell sich das Leben. Und ließ mich vollkommen ratlos und wütend zurück. Ich weiß, dass er krank war und sicherlich an einer sehr ausweglosen Situation stand. Jetzt, wo ich erwachsen bin, sehe ich aber: er hatte junge Kinder. Junge Kinder, die dieses Ereignis in ihrem Leben nur sehr schwer verkraften werden. Er reiht sich ein in die Riege toter Grunge-Sänger: Shannon Hoon, Andy Wood, Kurt Cobain, Layne Stayley, Scott Weiland, Chris Cornell. Von allen Bands waren Soundgarden und Nirvana für mich persönlich die beiden größten. Niemals werden mir die Alben von denen langweilig.

Es ist 2017 und im ganzen Post-Rock herrscht gähnende Langeweile? Im ganzen Post-Rock? Anscheinend doch nicht. ASIWYFA bringen mit „The Endless Shimmering“ ein Album raus, welches das Thema Post-Rock etwas anders behandelt.

Post-Rock macht es einem nicht leicht, Unterschiede zwischen Bands und Alben feststellen zu können. Allein ein Trademark-Sound, den sich eine Band aneignet, macht es noch möglich die Bands im Post-Rock derzeit auseinander zu halten. Mogwai klingen immer wie Mogwai, Explosions in the Sky tirilieren mit ihren Gitarren immer so herum und so weiter. Viele Bands gehen da leider in Beliebigkeit unter. Laut leise, verzerrt clean, dramatisch, Reverb und Delay = fertig ist das Post-Rock Album. And So I Watch You From Afar machen es sich da nicht ganz so leicht.

And So I Watch You From Afar – kleine Suiten der Musik
„The Endless Shimmering“ hat anderen Post-Rock Alben etwas voraus: Es wirkt greifbar und lässt Nähe zu. Die großen Elfenbeintürme aus Hall anderer Post-Rock Bands sind unnahbar und man prallt von außen dran ab. Nach 40 Minuten weiß man nicht, was man da eigentlich gerade gehört hat. ASIWYFA ziehen das etwas anders auf: Eine Tonfolge, die nachvollziehbar ist muss nicht gleich seichter Pop sein. Stattdessen wirkt das neue Album von ASIWYFA relativ vertrackt ohne dabei in den Prog-Rock oder Mathcore abzudriften. Viel proggiger kann Post-Rock allerdings auch nicht sein wie das bei „The Endless Shimmering“ der Fall ist. Das neue Album hat etwas von 70s-Rock, viel Post-Rock und ein klein wenig Funk. Die Band aus Nordirland verknüpft ganz geschickt Gitarrensounds verschiedener Genres: leicht verzerrter Overdrive, punktuell eingesetzter Hall und überdacht eingesetztes Delay: Das findet man selten bei instrumentaler Musik. Viel wichtiger ist dabei das aufeinander Hören der einzelnen Gitarren. Bevor es in „Dying Giants“ lauter wird, hört man erst einmal fast nackte Gitarren sich gegenseitig Stories erzählen. Die Melodien passend zueinander und bauen aufeinander auf. Es macht Spaß, dem zu folgen.

ASIWYFA neues Album: Produktion
Niemand reitet mehr auf dem Schritt der Produktion mehr herum als ich. Herrgott, wie wichtig mir der scheiß Produktionssound ist. Aber ich kann nicht anders. ASIWYFA haben das neue Album richtig schön bescheiden und furztrocken produziert. Neutral und doch professionell, nicht übersteuert mit Mastering sondern modern analog würde ich den Sound beschreiben.