(Unknown) Comedy
Archäologie der Songs
Bücher
Diagnose
Durch Schall und Rauch
Geschichte kurz
Ich wollte was schreiben über:
Ich würde gerne wissen, was ich gemeint hab, als ich in mein Notizbuch schrieb:
Im Kino (gewesen)
Konzerte
Liedtexte oder Zitate
Musik
Probe Objektiv
SB Warenhaus
Spracherkennung
Traumtagebuch
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
La disposition des matières est nouvelle. Non-Casual Blogging.™

 

Geschichte kurz

Danke, es hat sehr gut geschmeckt, es war köstlich; und ich taumele die Stufen hinab, im Kopf das eben stattgefundene Gespräch mit dem DJ: Nein, hab ich nicht da, nein, kenn ich nicht, nein, spiel ich nicht. Aber eigentlich ist es jetzt eh egal, weiter die Stufen hinab, bloß nicht hinfallen, Kopf nach rechts, nach links drehen, wie als Kind im Straßenverkehr, immer weiter gehen, einen Fuß vor den anderen setzen.
Vier Finger und ein Daumen halten mein Bier und meine Zigarette, mein Verstand und mein Gewissen und mein Herz und meine Seele halten mein Gebilde zusammen, dass sich aus Erlebnissen zusammensetzt. Wird manchmal auch Leben genannt, doch jetzt werde ich scheißsentimental, im Kopf Gedanken mit Reverb, Delay und Endlosschleife. Jetzt aufs Klo, Kopf unter den Wasserhahn halten, stillschweigend wird hinter mir gewartet, für die meisten scheint sich der Tag ähnlich wie für mich gestaltet zu haben, keine klaren Augen um mich herum, man hat sich berauscht an diesem oder jenem. Die Narkose klappt perfekt, nichts dringt mehr zu mir durch, ich freu mich und das Nichts in meinem Kopf zaubert ein Lächeln auf mein Gesicht.

Auf dem Balkon ist ein grünes Geländer aus Metall angebracht, und ihre Eltern haben ihr früher immer gesagt, dass das Geländer abbrechen und sie nach unten stürzen würde, wenn sie sich dagegen lehnte. Sie sitzt jetzt auf einem Stuhl vor dem Geländer, hat die Füße darauf abgestützt und kippelt hin und her, immer bis kurz vor dem Punkt, an dem sie hinten durch die Fensterscheibe fallen würde.
Der Schein trügt, denkt sie, während sie eine Nummer wählt, die gleich in 140 km Entfernung ein Telefon klingeln lassen wird. Oder aber ihr eigenes Telefon sagt ihr, dass der andere Anschluss gerade belegt ist.
Den ganzen Tag hatte sie alle Gedanken das Gespräch betreffend abwehren können, doch jetzt, wenige Sekunden, bevor sie mit ihm sprechen würde, machte sich ganz klar Angst in ihrem Bauch breit und sie rieb sich vor Aufregung die Hände an ihren Hüften, während sie den Hörer zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt hatte.
Es klingelte einmal, zwei Mal, und sie hoffte schon, dass er nicht zuhause sein würde, dann würde sie eine SMS schreiben, so was wie: Hatte versucht dich zu erreichen, schade, dass du nicht da warst, sehen uns dann nächste Woche. Doch nach dem vierten Klingeln hob er ab und sagte wie immer: „Hallo?“ – „Ja hallo, ich bin}s“, sagte sie. Beim nächsten konnte sie heraushören, dass er sich wirklich ehrlich freute von ihr zu hören. Und sie log ihn an. Er sagte: „Ach Hi, schön, dass du anrufst. Wie geht}s dir denn?“ – „Ganz gut, und dir?“ – „Ich bin ein bisschen müde, aber das ist schon okay.“ Dann sagten sie beide nichts mehr und sie dachte: Nein, wenn jetzt schon Stille eintritt, dann wird er gleich fragen, was los ist, und was soll ich dann sagen? Sagen könnte sie viel, aber sie wollte, dass er es ihr abnehmen würde. Er sollte merken, dass sie nicht mehr reden will. Es wäre auch schlimm, wenn er sie am Samstag doch auf der Party gesehen hätte, sie war geflüchtet, hatte sich zuerst oben im Haus und dann in der Garage versteckt, während die Party im Garten weiter lief. Ihre Freundin hatte sich zu ihr gesellt, zwischendurch etwas zu trinken geholt und sie war sich so dumm vorgekommen, vor ihm wegzurennen. Und sie war richtig sauer geworden. Er hatte ihr die Party versaut.

Die Hände in den Taschen, den Blick auf den Boden gesenkt gehe ich die Straße entlang, es soll so aussehen, als hätte ich ein Ziel, vielleicht sogar einen wichtigen Termin, doch eigentlich warte ich nur auf den Abend, den späten Abend. Ich möchte mir nur die Zeit vertreiben, zuhause wollte ich nicht mehr sitzen, die Wände anschauen und warten.
Jetzt gerade muss ich an ihre Worte denken, nicht dass, was sie bedeuten, sondern wie sie sie vorhin ausgesprochen hat; mit diesem Singsang in ihrer Stimme klingen auch alle Flüche schön. Alle ihre Worte klingen wie ein Lieblingslied, wie eine Melodie, die man immer wieder vor sich hin pfeift. Als ich weiter träume laufe ich fast vor ein Auto und muss dann, gleich nachdem ich mich bei dem wild Fäuste schüttelnden Fahrer für meine Unaufmerksamkeit entschuldigt habe, an jemand anderen denken, jemanden der erzählt, ich solle mir doch bitte die Haare lang wachsen lassen, das würde bestimmt so gut aussehen, ich hätte doch bestimmt total schöne Locken. Schütteln will ich diese Person und schreien: Aufwachen! Sie würde sich den Teufel scheren, mich eher bei der Polizei melden, wenn ich in drei Jahren bei ihr ankommen würde und sagte: Schau mal, ich hab jetzt lange Haare.

Dienstag, 24. Dezember
Ihr Gesundheitszustand hatte sich in den letzten drei Monaten unheimlich verschlechtert. Sie konnte nicht mehr gehen, nicht mehr stehen. Meine Mutter und ich verbrachten Heiligabend gemeinsam. Es war sehr traurig. Warme Tränen liefen uns übers Gesicht. Ein Schweigen lag im Raum und Sekunden schlichen so langsam vorüber wie eine unendliche Reise in das Ungewisse. Als mir Mutter aber ein Geschenk in die Hände drückte und ich erfuhr, welch unbezahlbares Geschenk es war, wusste ich nicht mehr, was ich denken sollte. Mein altes Huckleberry-Finn Buch. Nicht das Wertvollste der Welt hätte das bezahlen können. Mich überfielen zahllose vergangene und vergessene Gedanken. Judith. Der Klosterschüler. Gregor. Der alte Knudsen. Ich wünschte auf einmal, dass ich wieder so jung wäre. Würde ich doch in meinem geheimen Versteck, der Gerberei, sein und das Ganze noch mal erleben. Sansibar. Meine ganzen Traumvorstellungen. Meine Welt. Jetzt sind meine Augen offen und ich würde nicht blind sehen. Doch es ist zu spät. Zu alt bin ich. Mir stürzten viele Gedanken durch den Kopf. Ich wollte auf einmal so viel erfahren. Ich steckte plötzlich voller Wissbegierde, Neugier und dem Drang, über alles Bescheid zu wissen. Ich musste einfach mehr darüber wissen. Ich dachte darüber nach, was wohl aus ihnen allen geworden ist. Hat Judith es geschafft, in das goldene Land zu gehen? Hat Knudsen mit Bertha zusammen fliehen können? Was ist aus Gregor geworden? Vielleicht wurde er gejagt. Hat der Klosterschüler seinen Feinden entkommen können? Wurde er zerstört? Wer kann mir das sagen? Wer? Ich kniff die Augen zusammen, wollte nichts sehen, nichts mehr denken und hören. Doch dann sah ich zu meiner Mutter. Sie fing an, sehr schwer zu atmen. Es hörte sich nicht gut an und ich fühlte, dass etwas passieren würde. Ihr Gesicht wurde rot, sie bekam einen starken Hustenanfall und fiel einfach so schnell um, dass ich es nicht realisieren konnte. Ich kniete mich neben sie und bat sie, wieder zu kommen. Sie bewegte sich nicht. Hilflos und verzweifelt bat ich und brach in Tränen aus, so dass ich hinterher sehr erschöpft war. Der Arzt musste kommen. Ihr Herz schlägt nicht mehr.
So hatte ich mir Sansibar nie vorgestellt.

mit freundlicher Genehmigung

Am nächsten Morgen wache ich unausgeruht auf, habe Kopfschmerzen, kurz gesagt: ich fühle mich als müsste ich gleich wieder schlafen gehen. Statt dessen stehe ich auf, fahre mir kurz übers Gesicht und merke, dass meine Augen brennen, so als wären die Ränder der Augenlider entzündet. Als ich im Bad stehe und in den Spiegel schaue sehen meine Augen allerdings normal aus, bis auf dass sie nur halb geöffnet sind. Ich spritze mir etwas Wasser ins Gesicht, vom Wasser kommen wir, zur Erde werden wir.
Ein paar Sekunden stehe ich noch vor dem Waschbecken, mein Körper will noch nicht so ganz was mein Geist will. Vor allen Dingen will mein Geist nicht mehr zulassen, dass ich mich auf die nächsten Stunden, in denen ich wach sein soll, freue.
Den ganzen Tag über legt sich Müdigkeit wie ein Schleier über meinen Geist, ich muss mich anstrengen, um auf Arbeit nicht einzuschlafen.
Später sitze ich wieder vor dem Fernseher in der gleichen Position wie am Abend zuvor, und plötzlich höre ich zwei Leute draußen auf der Straße ein Gespräch führen. Ich kann nicht verstehen, was sie sagen, aber wenn ich mich ein bisschen mehr anstrengen würde, könnte ich es verstehen, doch dazu bin ich nicht in der Lage. Aber ich denke, dass man vielleicht damals das Gespräch zwischen ihr und mir hat mithören können, denn wir standen auch unter diesem Fenster und ich weiß noch, wie sehr ich damals ihre Hand nehmen wollte, nichts weiter, nur ihre Hand nehmen und halten. Das wäre der Anfang zu allem Guten gewesen, der Anfang der Heilung.
Ich merkte, dass wir irgend etwas sagen mussten, sonst würden die Gefühle weiterhin aufgestaut bleiben und irgendwann sauer werden und sich umkehren. Den ganzen Abend hatte ich versucht aus ihrem Verhalten darauf zu schließen, wie sie mir gegenüber empfand, aber ich konnte an nichts anderes denken, als von ihr in den Arm genommen zu werden, in den Armen gehalten zu werden, nichts wollte ich mehr. Ohne es zu merken war ich wieder ein kleines Kind geworden.

Ich merke an seinen Mundbewegungen, dass er nicht weiter weiß, dass sein Bild, welches er nach außen hin abgibt, sich jetzt ändern wird. Er schüttelt seinen Kopf und hebt seine Hände zu einer abwehrenden Geste. Er könnte aufstehen und flüchten, aber dann müsste er durch die ganzen Leute durch, die um unseren Tisch herumstehen, und das will er jetzt nicht riskieren. Er könnte viel zu lange brauchen, um aus meinem Blickfeld zu verschwinden und das wäre kein guter Abgang. Ich sage: „Die Frage ist, wie du diese Zeit im Nachhinein bewerten wirst. Was jetzt passiert, ist egal. Aber du wirst morgen darüber nachdenken, was heute passiert ist. Und dann soll es dir ja nicht schlecht gehen. Genauso wirst du in fünf Jahren nachdenken, was jetzt passiert. Und dann willst erst recht nicht schlecht darüber denken.“ Ich will nicht mehr darüber reden und habe Mühe, bei den ganzen Anschuldigungen nicht das Bewusstsein zu verlieren. Er ist jetzt wütend und sagt: „Vielleicht merkst du eines Tages, dass das alles schon mal gesagt worden ist, die ganzen Weisheiten, die du heute von dir gegeben hast. Was ist denn mit dir?“ Ich versuche mit einem Lächeln die Frage zu beantworten und merke, dass ich für diesen Abend gewonnen habe. Er wird mich heute nicht mehr nach mir fragen.

Ich fand Michels Vater vor seinem Haus auf der Mauer liegend, es dämmerte bereits und ich konnte erkennen, dass sein Jackett ganz verschmutzt war, und dass seine Haare von irgend etwas nass geworden waren, er lag wohl schon etwas länger da. Als ich näher kam, wachte er auf, tat ein bisschen so als würde er sich den Dreck vom Jackett klopfen und ging die Treppen hinauf zu seinem Haus. Er deutete mit einer Handbewegung an, dass ich ihm folgen sollte, dabei sagte er kein einziges Wort.
Das Haus sah von innen ganz anders aus als heute Mittag, ich hatte sogar das Gefühl noch niemals hier gewesen zu sein.
Ich folgte Michels Vater in die Küche und sah, wie er sich ein ganzes Glas Wodka eingoss, ein paar Eiswürfel dazu tat und alles in einem Zug trank. Als gäbe es nichts natürlicheres, setzte er sich danach zu mir an den Küchentisch und schaute mich an. Im Licht der Dämmerung sah sein Gesicht gespenstisch aus. Aber ich sagte gar nichts und er lehnte sich zurück und bot mir eine Zigarette an. Wir rauchten und ich merkte, dass sein Kopf ständig nach vorne auf die Brust sank. Nachdem seine Zigarette aufgeraucht war und er sie im Aschenbecher ausgedrückt hatte, blieb der Kopf auf seiner Brust liegen und er war wieder eingeschlafen. Ich stand vorsichtig auf und ging leise aus der Küche, ich hatte Angst, wenn er von mir aufgeweckt würde, könnte er wahnsinnig werden und mich erschlagen.

Sie stand vor mir, zappelte herum, hatte sich mir vor einigen Sekunden an den Hals geschmissen, um mich zu begrüßen und schaute sich jetzt um, um zu sehen, ob sie jemand dabei beobachtet hatte. Mit der einen Hand fummelte sie an dem Ring der anderen Hand herum und stellte mir jetzt Fragen, die völlig unwichtig waren. Sie wartete eh nur darauf, endlich über sich zu reden. Sie verstellte ihre Stimmen und begann Sätze mit: Weißt du, was mir passiert ist?
Dann zeigte sie mir, wie jeden Abend, mit wem sie alles da war. Das ist meine Freundin und das ist meine Freundin und die und die und die.
Aus ihren Plänen für die Zukunft konnte ich schließen, dass sie nicht wusste, was sie mit sich anfangen sollte. Wenn sie alleine zuhause sitzt, springt sie wahrscheinlich jede Minute auf, macht ein neues Lied oder eine neue CD an, fängt an ihren Kleiderschrank aufzuräumen und lässt es dann doch sein, ruft drei Freundinnen hintereinander an und geht dann doch in die Stadt, einkaufen und sich zeigen.

Er räumte vor mir in seinem Zimmer herum und ich erzählte von seiner Schwester und er nickte, aber ich wusste, dass er es im selben Moment wahrscheinlich vergessen würde, obwohl es seine Schwester war, von der ich ihm erzählte. Man konnte fast schon hören, wie sein Gehirn versuchte, die Informationen aufzunehmen, es ihm aber nicht gelang, sie einzuordnen und abzuspeichern. Er hatte damit zu kämpfen, dass er vor einer halben Stunde aufstehen musste, selbst das Aufstehen war für ihn zur Qual geworden.

Ich befand mich damals auf einem recht wichtigen Weg, bekam alles in den Griff, als die Hölle über mir losbrach, sich das Leben änderte, ich jeden Morgen mit einer unbeschreiblichen Angst aufwachte, die Augen weit aufgerissen, den Mund offen, verwirrt und nicht wissend wo ich war. Alles hätte so schön werden können, wäre damals nicht die Welt aus den Fugen geraten, hätte mich dieses Chaos aus Vergessen und Versinken nicht gepackt und mitgerissen. Es ging mir so gut und dann wurde ich schwach und fuhr ziellos durch die Städte und ging die Straßen entlang und schaute dabei auf den Boden oder zog die Stirn kraus, wenn mich jemand etwas fragte.
Ich wollte zum Arzt gehen und ihn fragen, was mir damals fehlte aber ich hatte Angst zu einem Arzt zu gehen, weil Ärzte dazu tendieren, schlechte Nachrichten zu überbringen. Bei meinem Kinderarzt früher stand im Wartezimmer ein Kasperletheater, da habe ich immer meiner Mutter was vorgespielt, sie hat dann zur Seite geguckt weil sie es nicht lustig fand. Ich fand das dann auch nicht lustig und bin dann in die andere Ecke gegangen und habe aus Lego etwas gebaut, aber nie was tolles, weil man das ja nicht mitnehmen konnte.