(Unknown) Comedy
Archäologie der Songs
Bücher
Diagnose
Durch Schall und Rauch
Geschichte kurz
Ich wollte was schreiben über:
Ich würde gerne wissen, was ich gemeint hab, als ich in mein Notizbuch schrieb:
Im Kino (gewesen)
Konzerte
Liedtexte oder Zitate
Musik
Probe Objektiv
SB Warenhaus
Spracherkennung
Traumtagebuch
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
La disposition des matières est nouvelle. Non-Casual Blogging.™

 
Am 1. Weihnachtstag 1991 stand ich mit einer selbstgebastelten Gitarre aus einer Gardinenstange und Pappe in meinem Zimmer vor einem selbstgebastelten Mikro und spielte das "schwarze Album" von Metallica von vorne bis hinten mit. Wahlweise hatte ich auch zwei leere Plastikflaschen in der Hand, saß auf meinem Bett und imitierte das Schlagzeug. Letzteres mache ich immer noch, nur ohne Flaschen. Metallica waren damals so eine Art harte Arbeit. Spielte man bei der Musik mit, durch Bangen, Moshen, Luftgitarre oder -schlagzeug spielen, war man hinterher richtig erschöpft und verschwitzt und fühlte sich gut. Man fühlte sich, als hätte man eine Aufgabe mit Erfolg erledigt. Als ich im Spätsommer 1992 auf der Geburtstagsparty einer Klassenkameradin zum ersten Mal so richtig betrunken war, führte ich mit dem Freund dieser Klassenkameradin ein Streitgespräch darüber, wer nun besser sei: AC/DC oder Metallica. Ich stand auf der Metallica-Seite und habe aber leider keinen Schimmer mehr, welche Argumente ich zur Unterstützung meiner These anführte. Auch an die Argumente meines Gegenübers kann ich mich nicht mehr erinnern. Im Winter desselben Jahres fuhr ich mit dem Fahrrad ca. 17 km weit, um mir von dem besagten Freund dieser Klassenkameradin die beiden ersten Metallica-Alben "Kill 'em all" und "Ride The Lightning" auszuleihen. Ich hätte einfach bis zum nächsten Morgen warten können, dann hätte sie sie mir in die Schule mitgebracht, aber dann hätte ich ca. 20 Stunden länger warten müssen. Und im Winter 1992 gab es absolut keine andere Möglichkeit an Musik heranzukommen. Es war arschkalt und ich weiß noch genau, wie ich am Abend im Zimmer meines Bruders saß und mir beide Alben auf Kassette überspielte, um sie am nächsten Tag schon in der Schule auf dem Walkman hören zu können. Parallel liefen damals bei mir die beiden Musikrichtungen Grunge und Metal nebenher, ich sog beides in mich auf. In der Schule hielt ich irgendwann im Musikunterricht ein Referat über Metallica, erzählte alles über die bis dato vorhandenen 5 Alben und zeigte das von MTV auf VHS aufgenommene Musikvideo zu "Wherever I May Roam". Ich hing Poster von Metallica bei mir im Zimmer auf, noch und nöcher. Ich wusste alles über Metallica, ich konnte die Lyrics der Songs auswendig, ich wusste wie lang die einzelnen Titel gingen, die Reihenfolge der Songs auf den Alben sowieso, ich wusste sogar wann James, Lars, Kirk und Jason Geburtstag hatten. MTV lieferte ordentlich Live-Material, Berichte und Specials über die Guns'N'Metallica-Tour und die Musikvideos rauf und runter. Alle Musikzeitschriften druckten haufenweise Berichte und stand mal einen Monat nichts über Metallica in der Rock Hard oder dem Metal Hammer, gab es Sonderhefte mit Postern. So viel Metallica ich auch hörte, ich konnte nicht genug bekommen. Hätte es damals schon Last.FM gegeben, Metallica könnte ich kaum einholen, obwohl Nirvana wahrscheinlich mit ihnen zusammen auf Platz 1 ständen. Mit dem schwarzen Album war es dann aber eigentlich auch vorbei. Man eiferte sozusagen in der Diskografie rückwärts bis "Kill 'em all". Dann hörte man noch Bootlegs der aktuellen - wie man heute weiß selbstzerstörerischen - Tour und ansonsten die alten Alben.
Bis am 21. Mai 1996 die Single "Until it sleeps" veröffentlicht und damit der Untergang Metallicas eingeläutet wurde. So war die einhellige Meinung unter Freunden. Man hatte sich in der Zwischenzeit den verschiedensten Genres wie Crossover, Black Metal, Grunge, Alternative- und Indie-Rock zugewandt, zwischendurch aber immer wieder eine Metallica-Phase gehabt. Wie ich in der Vorab-Rezension beschrieben habe, hatten sich die Konturen und Texturen der ersten fünf Alben (die meisten würden aber besonders "Master of Puppets" und "... And Justice for all" nennen) tief in das Gedächtnis eingegraben. Man war dadurch so geprägt worden, dass man das nicht mehr herausbekommt. Viele Metallica-Fans von früher, die jetzt ein Leben führen, das nichts mehr mit Musik zu tun hat, fangen an zu reden, wenn sie betrunken sind. Darüber, wie geil Metallica waren und wie geil die Zeit war, in der man sie gehört hat. Ich selbst kann so wenig über Metallica eine vernünftige objektive Rezension schreiben, wie ich als Chef einen Freund bei einem Vorstellungsgespräch objektiv behandeln könnte. Metallica ist untrennbar mit den wichtigen musiksozialisierenden Jahren meines Lebens verbunden und niemals wird ein folgendes Album den Status erreichen, den die ersten 5 Alben erreicht haben. Wie also eine Entwicklung beschreiben, bei der es einen emotionalen Bruch ab dem 6. Album gibt? Es scheint ja allerdings so zu sein, dass Hunderttausende diesen Bruch teilen. Man liest wirklich haarsträubende Urteile über das neue Album. Zur Probe habe ich bei Google "Death Magnetic sounds like" eingegeben und die fantastischsten Vergleiche gelesen. Ab dem 6. Album waren Metallica für viele endgültig zu Marionetten der Musikindustrie geworden, viel dazu trug das Video zu "Until it sleeps" bei und auch die Fotos, die in "Load" zu sehen waren. Lars mit so einer Art Fellstola? Kirk mit Zigarre? Das war nicht mehr pur, das waren Metallica mit einem guten Schuss Dekadenz und Falschheit, Unehrlichkeit und Show. Und das Album klang lasch und pointless.
"St. Anger" wartete dann zum ersten Mal mit einer Art Rückkehr auf. Aber auch da war das einzig Eindrucksvolle dieser groteske Snare-Sound.
Wie "Death Magnetic" nun klingt ist eigentlich nicht schwer zu sagen. Es klingt meines Erachtens wie eine Mischung aus "Load"/"Re-Load" und "St. Anger". Der Sound ist extrem glatt und regelmäßig abgemischt, gemastert wurde das Album wie alle Blockbuster-Alben der Gegenwart, so dass alles gleich laut und dadurch ziemlich laut wirkt. Der Produktion kann ich keine positive Entwicklung abgewinnen. Auf "Death Magnetic" gibt es keine Rückkehr zu den alten Alben. Diese kleinen Erinnerungen sind so versprengt und selten, dass sie eigentlich gar nicht da sind. Mit "That was just your Life" fängt das Album ja auch sehr gut an, da klingt das Riff wirklich nach Metal, wird aber durch das ins Nirgendwo führende "The End of the Line" schon wieder entkräftet. "Broken Beat and Scarred" ist einfach nur laut, soll laut sein und hart und ist es einfach nicht. "The day that never comes" ist der einzige Song, der wirklich ein bisschen an früher erinnert, aber bei der Erinnerung bleibt es auch. "All Nightmare long" und "Cyanide" sind rückstandlose Lückenfüller, "The Unforgiven III" hat ein bisschen Sinn, "The Judas Kiss" ist wiederum vertontes Metal-Nichts, "Suicide and Redemption" klingt wie kein gewollter Instrumental-Track sondern wie einer bei dem man die Vocals vergessen oder gestrichen hat und "My Apocalypse" treibt dann endlich noch einmal mit Tempo und vertrackteren Strukturen ein bisschen voran.
Das alles bleiben leere subjektive Beschreibungen. Über dieses Album wird es so viele verschiedene Meinungen geben wie es Metallica-Fans gibt und die nun durch das Internet jeder lesen kann. Jeder hat so eine Geschichte über seine Metallica-Vergangenheit zu erzählen, wie ich es habe. Ich reihe mich ein in eine Menge von Metallica-Fans, die auf die alten Alben schwören und seit "Load" nichts mehr mit Metallica anzufangen wissen. Es finden sich sicherlich bessere Beschreibungen der Änderungen in Metallicas Songwriting als meine, aber was würde ich antworten, wenn man mich fragt, wohin sich Metallica geändert haben? Ich würde sagen: ihre Riffs klingen wie Rockriffs, sie sind weniger komplex und verspielt, sie sind straighter und dadurch stupider, sie haben hier und da gute Melodiebögen, aber die sind im Gegensatz zu früher so selten geworden, dass man das Suchen beim Hören satt hat. Man muss sich an einem Haufen sinnloser simpler Riffs vorbeiarbeiten. Damit sind wir wieder beim Anfang angekommen. Die Aufgabe, das Durcharbeiten, das Durchhalten der Songs, der sägende und sich eingrabende Sound ist bei Metallica einem Durchstehen gewichen, einem aus dem Treibsand herauskämpfen, einem modernen feigen Einheitsbreisound, einem digitalen Profistudiosound, Metallicas Songs sind Songs aus der Retorte, sie sind die Kopie einer Vorstellung von Metallica. Sie sind einfach und einfältig und eintönig, sie sind wie Metal-Punk-Rock. Und sie werden auch nie nie wieder da rauskommen, sie kommen nicht wieder an den Punkt, an dem sie vor 20 Jahren waren. Man muss einmal beachten, welche Entwicklung Metallica von "Kill 'em all" zu "... And Justice for all" gemacht haben. Da liegen Welten dazwischen. Aber zwischen dem "schwarzen Album" und "Death Magnetic" sieht man Metallica nur im Kreis laufen. Trotzdem ist es gut zu fühlen, dass sich die Erinnerungen an den Eindruck der alten Alben einfach nicht töten lässt. Jetzt habe ich "Death Magnetic" gehört und nichts wird zurückbleiben, weil man einfach daran abprallt. Aber "Kill 'em all", "Ride the Lightning", "Master of Puppets", "... And Justice for all" und das "schwarze Album" in Teilen kann mir niemand mehr nehmen, auch keine Metallica-Leiche.