Wie zuerst bei Radiohead und immer noch laufend bei Portishead, nun auch bei Sigur Rós eine dreiteilige Rezension, wobei ich jetzt bei Sigur Rós schon auf eine Single und ein Video zurückgreifen kann.
Sigur Rós‘ neues Video und dazugehörige Single „Gobbledigook“ weist für alle Fans und Neuhörer auf die Richtung, in die es bei kommendem Album “Með Suð Í Eyrum Við spilum Endalaust” gehen wird. Freiheit. Eine vermeintliche Freiheit, wie mir scheint. Aber bevor ich zur versuchten konstruktiven Kritik komme, erst einmal das Lob. Die Sammlung „Hvarf/Heim“ erscheint nach mehrmaligem Durchhören weitaus ergiebiger und tiefgängiger als vorerst angenommen. Die Geschichte guter Songs und das seltene Label, eine Band zu sein, die wie niemand anders klingt, ist einfach zu außergewöhnlich, als dass man Sigur Rós ob eher schwachem letzten Album und danach herausgebrachter Neuverwertung alter Songs in Vergessenheit geraten lassen könnte. Sigur Rós sind für die alternative Community (ein Begriff, den ich eigentlich niemals aus dem Kreise Angehöriger an die Öffentlichkeit steigen lassen wollte) einfach viel zu wichtig. Auch deswegen die Entscheidung, hier eine dreiteilige Rezension zu versuchen. Sigur Rós‘ Veröffentlichungspolitik in der letzten Zeit erscheint mir immer mehr ausgeklügelt und dem aktuell gängigen Modell "Es laden ja eh alle illegal Musik also müssen wir versuchen durch neue Verkaufsmodelle die Leute animieren doch irgendwie irgendwann Geld auszugeben" zu entsprechen. Sigur Rós bedienen die ganze Palette der Wertschöpfungskette. Sie bringen sowohl CDs als auch DVDs in mehreren Versionen heraus, agieren neben der Musik auch sehr stark auf dem audio-visuellen Markt, indem sie produktionstechnisch hochwertige Musikvideos veröffentlichen und zuletzt auch noch filmisch mit „Heima“ in Erscheinung traten; dabei vermitteln sich gleichzeitig stark ihre Weltanschauung und transportieren ein ganzes Lebensgefühl. Die Erhaltung und Schönheit der Natur/des Natürlichen scheint dabei in den Vordergrund gerückt zu sein. Dem entgegen poltert die angebliche Verschwendung und auf Kapital ausgerichtete Gesinnung des Kapitalismus, niemals expliziert erwähnt, aber doch im Bewusstsein vieler vor allem westlicher Fans präsent. Dabei bedienen sich Sigur Rós aber durchaus kapitalistischer Distribution, um ihre Kunst der Welt zu zeigen, wenn diese auch gleichzeitig die Wege der Kunst sind. Kann Kunst trotz kapitalistischer Distribution subversiv sein? Das bleibt zu diskutieren.
Könnte man ja auch irgendwie außer Acht lassen, wenn hier besprochenes neues Video nicht so explizit auf ein Lebensgefühl abzielen würde. In dem von Arni & Kinski gedrehten und von Ryan McGinley inspirierten „Gobbledigook“ sucht eine Gruppe hübscher nackter Jugendlicher die Freiheit in der Natur, und findet sie auch, was man aus ihrem Verhalten schließen kann. Ohne narrative Struktur wird in „Gobbledigook“ gezeigt, dass man sich in der Natur – im Wald, am Strand – nackt am besten fühlt; ausgelassen und losgelöst toben die Jugendlichen herum, probieren aus, wie es ist, die Natur am Körper zu fühlen, den Boden, die Erde, das Wasser, das Laub. Sie bemalen sich, tanzen und springen herum und probieren den Raum der Natur aus; schwingen an Schaukeln hin und her, sind im freien Fall – von wo nach wo bleibt offen – zu sehen. Die Freiheit führt auch zu sexueller Freiheit, wie durch zwei küssende und sich auf dem Waldboden wälzende Jugendliche angedeutet wird. Bei dem Ganzen stößt mir nur eines übel auf: wo sind eigentlich die Jugendlichen, die nicht so einen schönen Körper haben wie die im Musikvideo Abgebildeten? Können die sich eigentlich auch so frei in der Natur bewegen, wenn sie wollten? Oder würden sie ob ihres Nicht-in-die-Norm-Passens vielleicht weniger freundlichen behandelt werden? Nun könnte man sagen: dass Sigur Rós nicht auf gängige Schönheitsideale achten, konnte man in den Musikvideo zu „Svefn-G-Englar“ deutlich sehen. In gewisser Weise würde dies auch durch die Homosexualität in „Viðrar Vel Til Loftárása“ deutlich. Aber gerade das macht die Entscheidung zum aktuellen Video für mich so unverständlich. Auf was wird hier gedeutet? Welche Freiheit soll hier vermittelt werden? Das Plattencover zum Album scheint hier ein wenig Nachhilfe zu geben. Vier nackte Jugendliche, drei Männer und eine Frau, kreuzen im Sprint eine Autobahn. Sie scheinen den Moment der Lücke auf der Autobahn zu nutzen, um sie zu überqueren. Inwiefern hier maßgeblich ist, dass die Frau an der Spitze der Gruppe läuft, soll außer Acht gelassen werden. Ins Auge sticht für mich, dass hier die Natur, angedeutet durch die Nacktheit die Technik/die Zivilisation/die Gesellschaft kreuzt. Das alles geschieht in einem Akt der Revolution, angedeutet durch den Sprint. In der Geschwindigkeit kann die Menschheit nicht mit der Technik mithalten, sie kann sie aber durch die eigene Geschwindigkeit nachahmen und durch das Erkennen der Lücke das Ziel erreichen, die von dem Fortschritt besetzte Natur zurückzuerobern. Und so erobern sich die Jugendlichen in dem Musikvideo zu „Gobbledigook“ auch die Natur und die Freiheit zurück. Ein wenig wie besessen benutzen sie Äste als Trommelstöcke und wühlen im Laub herum, als wirke allein diese Handlung wie eine Droge. Soll hiermit auf einen Befreiungszustand gewiesen werden, der auf die aktuelle Situation in der Gesellschaft reflektiert, man wäre durch Markenkleidung und Mode in einem ständigen Zwang sich anzupassen und dadurch unterdrückt, so sei Sigur Rós verraten, dass sie mit ihrer Gegenbewegung die gleiche Gefangenschaftssituation in grün abliefern. Die Nacktheit wird keine Missstände abschaffen. Sie erschafft die gleichen Ungleichheiten wie eine angezogene Gesellschaft. Und eine nackte Gesellschaft in der Natur steht einer angezogenen Gesellschaft in der Zivilisation wie ein Spiegelbild gegenüber. Einzig und allein drei kleine Hinweise auf einen Bruch lassen an dieser blauäugigen und hippieesk verklärten Vorstellung der Welt noch den Gedanken an eine Parodie auf diesen Traum der Freiheit. Sollte die Gruppe Jugendliche auf einen Garten Eden hinweisen, so darf sie nicht Filterzigaretten rauchen, in Schuhen auf den Baumstämmen balancieren oder fein ausrasierte Schambehaarung zur Schau stellen. Bezieht man diese deutlich sichtbaren Elemente mit ein, und das muss man fast, kann man glauben, dies sei ein schöner Traum von der Zivilisation verhafteten Ausbrecher. Diese Elemente verhalten sich magnetisch, sie ziehen die Jugendlichen nach Ende des Videos zurück in die aktuelle Gesellschaft. Das Problem ist: das sehen wir nicht mehr, und was wir nicht sehen, kann auch nicht geschehen.
Die Musik von „Gobbledigook“ indes ist in der Tat ein Befreiungsschlag. Wirkte letzes reguläres Album „Takk...“ noch wie ein nebliges Aufleben der sphärischen Welten aus „Ágætis Byrjun“ und „( )“, machen Sigur Rós in „Gobbledigook“ die initiale Musik, die eine für Hörer logisch zu erdenkende Weiterentwicklung nach „( )“ gewesen wäre. Aus dem Sumpf des Reverbs hätten Sigur Rós schon lange auftauchen sollen, denn dann stehen die Ideen in Nähe zum Zuhörer, die man in „Gobbledigook“ durch die Akustikgitarre und die tribalen Drums hört. Das Tempo ist nahezu raserisch für Sigur Rós, die Stimme immer noch leise und verhalten, die Chöre dafür umso lauthallender; immer näher kommen Sigur Rós dem Hörer, anstatt sich in die Lüfte zu erheben und fortzufliegen. Man kann Sigur Rós jetzt auf einem Pfad folgen, erleichtert klingen sie, aber immer noch ergreifend, ohne Schwere und Melancholie.
Solange es bei der Verteilung bleibt, dass Sigur Rós die Sicherheit in der Musik bieten, die sie im Visuellen zuletzt vermissen lassen, ist alles okay.
Sigur Rós‘ neues Video und dazugehörige Single „Gobbledigook“ weist für alle Fans und Neuhörer auf die Richtung, in die es bei kommendem Album “Með Suð Í Eyrum Við spilum Endalaust” gehen wird. Freiheit. Eine vermeintliche Freiheit, wie mir scheint. Aber bevor ich zur versuchten konstruktiven Kritik komme, erst einmal das Lob. Die Sammlung „Hvarf/Heim“ erscheint nach mehrmaligem Durchhören weitaus ergiebiger und tiefgängiger als vorerst angenommen. Die Geschichte guter Songs und das seltene Label, eine Band zu sein, die wie niemand anders klingt, ist einfach zu außergewöhnlich, als dass man Sigur Rós ob eher schwachem letzten Album und danach herausgebrachter Neuverwertung alter Songs in Vergessenheit geraten lassen könnte. Sigur Rós sind für die alternative Community (ein Begriff, den ich eigentlich niemals aus dem Kreise Angehöriger an die Öffentlichkeit steigen lassen wollte) einfach viel zu wichtig. Auch deswegen die Entscheidung, hier eine dreiteilige Rezension zu versuchen. Sigur Rós‘ Veröffentlichungspolitik in der letzten Zeit erscheint mir immer mehr ausgeklügelt und dem aktuell gängigen Modell "Es laden ja eh alle illegal Musik also müssen wir versuchen durch neue Verkaufsmodelle die Leute animieren doch irgendwie irgendwann Geld auszugeben" zu entsprechen. Sigur Rós bedienen die ganze Palette der Wertschöpfungskette. Sie bringen sowohl CDs als auch DVDs in mehreren Versionen heraus, agieren neben der Musik auch sehr stark auf dem audio-visuellen Markt, indem sie produktionstechnisch hochwertige Musikvideos veröffentlichen und zuletzt auch noch filmisch mit „Heima“ in Erscheinung traten; dabei vermitteln sich gleichzeitig stark ihre Weltanschauung und transportieren ein ganzes Lebensgefühl. Die Erhaltung und Schönheit der Natur/des Natürlichen scheint dabei in den Vordergrund gerückt zu sein. Dem entgegen poltert die angebliche Verschwendung und auf Kapital ausgerichtete Gesinnung des Kapitalismus, niemals expliziert erwähnt, aber doch im Bewusstsein vieler vor allem westlicher Fans präsent. Dabei bedienen sich Sigur Rós aber durchaus kapitalistischer Distribution, um ihre Kunst der Welt zu zeigen, wenn diese auch gleichzeitig die Wege der Kunst sind. Kann Kunst trotz kapitalistischer Distribution subversiv sein? Das bleibt zu diskutieren.
Könnte man ja auch irgendwie außer Acht lassen, wenn hier besprochenes neues Video nicht so explizit auf ein Lebensgefühl abzielen würde. In dem von Arni & Kinski gedrehten und von Ryan McGinley inspirierten „Gobbledigook“ sucht eine Gruppe hübscher nackter Jugendlicher die Freiheit in der Natur, und findet sie auch, was man aus ihrem Verhalten schließen kann. Ohne narrative Struktur wird in „Gobbledigook“ gezeigt, dass man sich in der Natur – im Wald, am Strand – nackt am besten fühlt; ausgelassen und losgelöst toben die Jugendlichen herum, probieren aus, wie es ist, die Natur am Körper zu fühlen, den Boden, die Erde, das Wasser, das Laub. Sie bemalen sich, tanzen und springen herum und probieren den Raum der Natur aus; schwingen an Schaukeln hin und her, sind im freien Fall – von wo nach wo bleibt offen – zu sehen. Die Freiheit führt auch zu sexueller Freiheit, wie durch zwei küssende und sich auf dem Waldboden wälzende Jugendliche angedeutet wird. Bei dem Ganzen stößt mir nur eines übel auf: wo sind eigentlich die Jugendlichen, die nicht so einen schönen Körper haben wie die im Musikvideo Abgebildeten? Können die sich eigentlich auch so frei in der Natur bewegen, wenn sie wollten? Oder würden sie ob ihres Nicht-in-die-Norm-Passens vielleicht weniger freundlichen behandelt werden? Nun könnte man sagen: dass Sigur Rós nicht auf gängige Schönheitsideale achten, konnte man in den Musikvideo zu „Svefn-G-Englar“ deutlich sehen. In gewisser Weise würde dies auch durch die Homosexualität in „Viðrar Vel Til Loftárása“ deutlich. Aber gerade das macht die Entscheidung zum aktuellen Video für mich so unverständlich. Auf was wird hier gedeutet? Welche Freiheit soll hier vermittelt werden? Das Plattencover zum Album scheint hier ein wenig Nachhilfe zu geben. Vier nackte Jugendliche, drei Männer und eine Frau, kreuzen im Sprint eine Autobahn. Sie scheinen den Moment der Lücke auf der Autobahn zu nutzen, um sie zu überqueren. Inwiefern hier maßgeblich ist, dass die Frau an der Spitze der Gruppe läuft, soll außer Acht gelassen werden. Ins Auge sticht für mich, dass hier die Natur, angedeutet durch die Nacktheit die Technik/die Zivilisation/die Gesellschaft kreuzt. Das alles geschieht in einem Akt der Revolution, angedeutet durch den Sprint. In der Geschwindigkeit kann die Menschheit nicht mit der Technik mithalten, sie kann sie aber durch die eigene Geschwindigkeit nachahmen und durch das Erkennen der Lücke das Ziel erreichen, die von dem Fortschritt besetzte Natur zurückzuerobern. Und so erobern sich die Jugendlichen in dem Musikvideo zu „Gobbledigook“ auch die Natur und die Freiheit zurück. Ein wenig wie besessen benutzen sie Äste als Trommelstöcke und wühlen im Laub herum, als wirke allein diese Handlung wie eine Droge. Soll hiermit auf einen Befreiungszustand gewiesen werden, der auf die aktuelle Situation in der Gesellschaft reflektiert, man wäre durch Markenkleidung und Mode in einem ständigen Zwang sich anzupassen und dadurch unterdrückt, so sei Sigur Rós verraten, dass sie mit ihrer Gegenbewegung die gleiche Gefangenschaftssituation in grün abliefern. Die Nacktheit wird keine Missstände abschaffen. Sie erschafft die gleichen Ungleichheiten wie eine angezogene Gesellschaft. Und eine nackte Gesellschaft in der Natur steht einer angezogenen Gesellschaft in der Zivilisation wie ein Spiegelbild gegenüber. Einzig und allein drei kleine Hinweise auf einen Bruch lassen an dieser blauäugigen und hippieesk verklärten Vorstellung der Welt noch den Gedanken an eine Parodie auf diesen Traum der Freiheit. Sollte die Gruppe Jugendliche auf einen Garten Eden hinweisen, so darf sie nicht Filterzigaretten rauchen, in Schuhen auf den Baumstämmen balancieren oder fein ausrasierte Schambehaarung zur Schau stellen. Bezieht man diese deutlich sichtbaren Elemente mit ein, und das muss man fast, kann man glauben, dies sei ein schöner Traum von der Zivilisation verhafteten Ausbrecher. Diese Elemente verhalten sich magnetisch, sie ziehen die Jugendlichen nach Ende des Videos zurück in die aktuelle Gesellschaft. Das Problem ist: das sehen wir nicht mehr, und was wir nicht sehen, kann auch nicht geschehen.
Die Musik von „Gobbledigook“ indes ist in der Tat ein Befreiungsschlag. Wirkte letzes reguläres Album „Takk...“ noch wie ein nebliges Aufleben der sphärischen Welten aus „Ágætis Byrjun“ und „( )“, machen Sigur Rós in „Gobbledigook“ die initiale Musik, die eine für Hörer logisch zu erdenkende Weiterentwicklung nach „( )“ gewesen wäre. Aus dem Sumpf des Reverbs hätten Sigur Rós schon lange auftauchen sollen, denn dann stehen die Ideen in Nähe zum Zuhörer, die man in „Gobbledigook“ durch die Akustikgitarre und die tribalen Drums hört. Das Tempo ist nahezu raserisch für Sigur Rós, die Stimme immer noch leise und verhalten, die Chöre dafür umso lauthallender; immer näher kommen Sigur Rós dem Hörer, anstatt sich in die Lüfte zu erheben und fortzufliegen. Man kann Sigur Rós jetzt auf einem Pfad folgen, erleichtert klingen sie, aber immer noch ergreifend, ohne Schwere und Melancholie.
Solange es bei der Verteilung bleibt, dass Sigur Rós die Sicherheit in der Musik bieten, die sie im Visuellen zuletzt vermissen lassen, ist alles okay.
04.06.2008, 19:06
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