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Geschichte kurz

Es war eigentlich alles super, bis der Techniker kam. Ich hatte ihn vom Küchenfenster aus beobachtet, wie er in seinem Auto saß und die Melodie von „Centerfold“ von The J. Geils Band beim Aussteigen pfiff. Der Techniker hätte gut jemand sein können, der sich die Playboy Centerfolds in die Spindtür hängen würde, aber es gab keine Spinds mehr. Keine Spinds, keinen Eierschutz, keine Pille. Den Altkanzler Schröder hatte man auf dem Fußballfeld den Spitznamen „Acker“ gegeben. Wie hatte man wohl den Techniker gerufen? Aber ich ließ ihn ins Haus und ging mit ihm in den Keller, damit er den Trockner reparieren konnte. Er war ein witziger Typ. Kein Ring am Finger, also würde er am Abend alleine in seiner Wohnung sitzen. Traurig irgendwie. „Das sind alles Kneipenwitze“, sagte er, nachdem er einen Witz gemacht und ich nicht gelacht hatte. Schlange da? Schon lange da verstehste? Ich lachte beherzt und fühlte mich gut. Den ganzen Tag über hatte ich Kopfschmerzen gehabt, aber ich dachte bei seinen Witzen gar nicht mehr daran. Er tauschte Pumpe und Elektronik aus und ließ den Trockner laufen. Keine Fehlermeldung mehr. Aber da tauchte plötzlich ein Geruch auf. „Da stimmt was nicht“, sagte Centerfold. Es roch nach verschmortem Gummi. „Das ist die neue Elektronik.“ Ich zuckte mit den Schultern und sagte: „Schade.“ Er schrieb alles auf und machte noch ein Foto von den kaputten Teilen. „Es muss nochmal jemand kommen, der die neue Elektronik, die jetzt verschmort riecht, austauscht.“ Ich schaltete den Trockner aus, den wir zum Test hatten laufen lassen. Der Geruch verschwand. Beim Rausgehen rief Centerfold mir zu: „An ihrer Stelle würde ich den Trockner nicht benutzen.“

Oben in der Küche stellte ich den Reis, der inzwischen kalt geworden war, wieder an und goss etwas Wasser nach. V. saß mit J. auf dem Sofa: „Und, geht der Trockner wieder?“ Ich schüttelte den Kopf. „Wir haben Pech mit dem Trockner.“ Die Geschichte ließ keine großen Kommentare zu. „J. ist nach dem Schlafen komischerweise schlecht drauf.“ Er war weinerlich und ließ sich nur schwer ablenken oder bespaßen. F. warf sich vor ihm auf den Boden. Ein kurzes Lachen. A. machte den Clown für ihn. Ein kurzes Lächeln. Tanzt für ihn, ihr Narren, witzelte ich. Alle lachten, bis auf J. Meine Kopfschmerzen waren wieder da. Ich ließ mich aufs Sofa fallen und nahm mein Handy zur Hand. Je weniger Licht, desto weniger fielen die Risse im Display auf. Es war früher am Nachmittag auf den Küchenboden gefallen, ich hatte es hektisch aufgehoben, konnte aber keine zusätzlichen Risse erkennen. „Na toll“, hatte V. gesagt, „bei dir passiert nichts, und bei mir geht gleich das Display kaputt.“ Ich versuchte die Risse zu ignorieren und öffnete mein Spiel, in dem ich Aufträge für die Produktion von Brot, Schmuck, Essen und andere Waren beauftragen musste. „Es riecht hier so komisch verbrannt, hast Du was auf dem Herd“, fragte V. Ich sprang wie wild auf, lief ich in die Küche, aber da war der Reis schon am dampfen wie verrückt. Ich schaute aus dem Fenster, das Auto des Technikers war natürlich längst weg. Er würde nicht allein sein, dachte ich mit dem dampfenden Topf in der Hand. Als er mir zurief, ich solle darauf achten, dass nichts anbrennt, hatte ich gesehen, dass sein Hund auf der Beifahrerseite saß.

Ich hab gehört, demnächst sollen Puzzles mit mehr als 5000 Teilen verboten werden, zu viele Menschen hat man schon verloren, die sich wagemutig an das Problem gemacht hatten, ein Bild zu erstellen, dass zerschnitten vor ihnen lag. In der schriftlichen Anrede hatte ich "du" und "sie" groß geschrieben, der Meister hatte aber klein zurückgeschrieben, wie alle anderen auch, das liegt an der weißen Tastatur. Ich bin sicher, es gibt auch irgendein theoretisches Modell dazu. Er hatte es geschafft, sich so auf ein Puzzle zu fokussieren, dass er es, ohne ein falsches Teil in die Hand zu nehmen, zusammensetzen konnte. Wenn ich ihn mir vorstelle, sehe ich immer nur den Rotz aus seiner Nase fliegen, damals als er ein kleiner Junge war, flog ihm oft beim Lachen der Rotz einfach so aus der Nase und landete auf seinen Pullovern. Jetzt schreibt er Artikel, ist also Angestellter und darf schreiben, für Webseiten, die das "follow the free" Konzept verfolgen, aber wer könnte schon einmal davon gehört haben.
Er schaute traurig, als ich ihm erzählte, meine Eltern seien gestorben, ob er auch wirklich traurig war, kann ich nicht sagen. "Vielleicht kommt das Böse ja jetzt in immer größer werdenden Zyklen wieder, so dass man in der Zwischenzeit den Eindruck gewinnt, es gäbe nichts Schlechtes." Damals haben uns auf alles mögliche konzentriert, jetzt kamen die Gedanken nur noch ganz beliebig. Dass wir uns wie früher verstehen würden, war unwahrscheinlich.

Ich komme zu spät zur Schule, weil mein Zimmer so verdreckt ist und ich nicht gleich durchkomme. Selbst auferlegter Hausarrest. Ich schaue mir jeden Morgen vor der Schule Beavis & Butthead an, ein ganzes Schuljahr lang. Deswegen bleibe ich sitzen und frage mich immer wieder: Hallo, wo seid ihr denn alle? Die elektrischen Geräte sind alle eingeschaltet, alte Radios, alte Fernseher, alles abgelegte Sachen. Draußen ist Sturm, ich gehe durch den Sturm zur Schule, deren Südeingang ich als sich öffnendes Maul eines Monsters verglichen hatte. In einem Traum. Mehrmals die Woche bade ich, das Bad ist der einzige Ort, an dem ich ungestört bin.

Ich kann aus der ganzen Clique der Kinder in unserer Nachbarschaft nicht der Dümmste gewesen sein; ich weigere mich, das zu glauben. Ich hab nie viel riskiert, keine großen Mutproben mitgemacht, außer einen Ziegelstein mal vom Balkon der 7. Etage des Hauses zu werfen, ohne zu wissen, ob dort unten jemand aus der Tür treten und nach draußen gehen würde. Dann habe ich mal in Schlamm getränkte Äste auf die frisch gewaschene Wäsche auf dem Wäscheplatz geworfen, beides mit dem Nachbarsjungen aus dem Erdgeschoß, mit dem ich, nachdem alles herausgekommen war, nicht mehr spielen durfte. Ich hatte auch nie so viel Spaß bei Streichen. Dieser Nachbarsjunge brachte mir auch die schlimmen Wörter bei, was dazu führte, dass ich eins dieser Wörter zu einem Freund sagte und er es meiner Schwester petzte, wobei ich eine Heidenangst bekam. Ich hatte das eigentlich gar nicht sagen wollen, aber es war einfach da. Ein neu gelerntes Wort, das ich anwenden wollte.

Beim Tippen an der Schreibmaschine schäme ich mich und fühle mich klein. Alles ist ganz nah, auch meine Feinde, deren Definition ich jetzt gerade nicht erklären kann. Ich halte es aber für wichtig, ein Geheimnis für sich zu behalten, auch weil die meisten Geheimnisse gar nicht verstanden werden. Nachts reise ich zurück in die Jahre vor 1977, als es noch Baumhäuser und wirtschaftlichen Erfolg und sichtbaren Fortschritt gab. Die Verteilung und Verbreitung von Informationen hat alles gleich gemacht. Ich bin immer noch verrückt genug, über all das nachzudenken. Mein Gehirn ist voll Gedankensplitter, eine große Mülldeponie, meine Kindheit stinkt hervor und ist ganz rostig. In den Erinnerungen ist es immer abends und nie mittags. Niemand fand jemals auch nur irgendetwas gut, was ich früher gemacht habe. Ich hockte in meinem Zimmer und fragte mich warum. Ich raffe alles zusammen und schaue mir an, wie es im Regal Staub ansetzt. Auch die Gedanken an die Schule sitzen dort. Sie sind glänzend. Die Erinnerungen spenden mir auch Schatten aber ich schwitze trotzdem, es ist kompliziert, jeden Tag zu leben, wenn man im Sportunterricht schlecht ankommt und nur abgewinkt wird, wenn man mitmachen will. Ich erfand also eigene Kartenspiele. Ich packte immer mehrere Sets zusammen, sodass ich einen riesigen Stapel Karten hatte. Auch Karten habe ich gerafft und gesammelt. Ich hatte keinen Teddybär, denn dann hätte ich ja zwanzig oder so davon neben mir liegen haben müssen. Ich habe mir irgendwann irgendetwas geschworen, ich weiß aber nicht mehr was.

Auf leere Schaltflächen klicken, die Schale vom Apfel schälen, aktuelle Seiten reloaden, Krümel vom Tisch fegen, mit der Zunge in Zahnzwischenräumen stochern, in den Leerlauf schalten, Cents ins Sparschwein werfen, im Fahrstuhl mit den Füßen scharren, auf einen Anruf warten, gucken, ob sich was geändert hat, einen Arzt oder Apotheker fragen, einen Lehrer fragen, die Eltern fragen, die Geschwister fragen, mit den Knöcheln knacken und dabei gähnen, sich die Augen reiben, den Müll raustragen, auf den Tisch klopfen, ein Album aufnehmen, Wasser beim Kochen zusehen, Staub wischen, lange Artikel ausdrucken, Zeitschriften oder Magazine kaufen, Einkaufszettel und Blechdosen wegkicken, alles neu installieren, im Kalender eintragen und nachschauen, Kopfkissen zurechtlegen, Rezensionen lesen, drei Mal Schwarzer Kater sagen, sich irgendwen zur Hölle wünschen, noch ein letztes Bier trinken, etwas an der Pinnwand aufhängen, den Bademantel an der Heizung aufwärmen, den Fernseher anmachen und rumzappen, sich ein amtliches Mitteilungsblatt durchlesen, den Nachbarn beim Streiten zuhören, Fliegen und Mücken totschlagen, umgefallene Dinge wieder aufstellen, schnell weglaufen, sich die Schuhe abklopfen, das Auto zur Reparatur bringen, gewaschene Kleidung zusammenlegen,

Zu Unrecht sprühte mir damals der Hass aus den Augen, aber zu gewöhnt war man schon an den gegenseitigen Hass, so dass diese Art von Bestrafung in einer gestörten Beziehung keine Wirkung mehr zeigte. Ich beugte mich über das Waschbecken, ließ das Blut aus meiner Nase direkt in den Abfluss tropfen und sagte: „Mein Zahnfleisch blutet auch. Ist das noch normal?“ Darauf kam keine Antwort, und ich wollte raus aus meiner Haut, den Schädel aller spalten, sie alle erschießen, erstechen oder ertränken, ich war nackt und nicht wissend, was an so einem Abend alles passieren kann. Als Klammer auf für den Abend hatte ich Ascii.Disko gehört, als Klammer zu würde ein Buch genügen, das Wochenende abschließen. Alles dazwischen geschah in diesem Moment und es war zu viel, das Bad zu fremd, die Leute zu freundlich.

„Ich brauch das. Zur Orientierung“, sagt er und fängt an, die Wände seines Zimmers mit Landkarten zu tapezieren.

Ich konnte die Nähe zu all den Denkmälern nicht mehr ertragen, deshalb zog ich weg. Das dauerte ein ganzes Wochenende, das Ausleben davor nur ein paar Minuten, das Einleben in der neuen Stadt danach ein paar Jahre. Jetzt sind alle anderen auch weggezogen, nur die Denkmäler stehen immer noch da, ungeschändet, unbeschmiert, unangetastet, sie stehen unter Denkmalschutz, und unser altes Haus haben sie einfach abgerissen. Manchmal lacht man mich dafür aus, dass ich so oft von meinem Elternhaus rede, zumindest schaut mich niemand so an, als wollte man noch weiter zuhören, wenn ich davon anfange, wie wichtig es war, wo der Schrank in meinem Zimmer stand, wie sehr es mich heute noch beeinflusst, dass mein Bett nicht unter dem Fenster stand, obwohl meine Eltern das immer als Schocktherapie gegen meine Angst vor Gespenstern durchsetzen wollten. Einmal wurde mir vor Angst schwindelig, meine Mutter meinte am nächsten Tag, ich wäre wohl umgefallen, wenn sie nicht in dem Moment ins Zimmer gekommen wäre, als ich an meinem Fenster eine Hexe zu sehen glaubte. „Da war gar nichts“, sagte meine Mutter immer, ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen, aber das macht ja nichts, sie hatte mich als kleines Kind nicht lieb, als ich erwachsen wurde, konnte sie gar nicht mehr verstehen, dass sie überhaupt ein Kind bekommen hatte.

Diese Wohnung ist so ganz anders als die andere Wohnung, die ihm im Rückblick, in der Erinnerung, nur hässlich vorkommt. Diese ganzen 2 Jahre lang hatte er keinen Wasseranschluss in der Küche, es stank aus dem nicht angeschlossenen Ausguss, und zum Abwaschen musste er ins Bad gehen. Die Küche selber war so furchtbar, unsagbar hässlich, mit dem vergammelten Kühlschrank von M., für den er bei der Entsorgung mehr zahlen musste als beim Kauf, der in der Nacht so laut summte wie ein Kernkrafterk und dessen Tür ständig abzufallen drohte, dem irgendwann verdreckten Küchentisch von IKEA, dem man an die Wand schrauben konnte/musste, den er auch viel zu spät angebracht hatte, und dem Fenster zur Stube, das irgendwann staubig war. Das Bad war ebenfalls hässlich, obwohl es frisch renoviert war, die nackte Glühbirne als Lichtquelle, der zerbrochene Spiegel, die nicht gestrichenen Wände, die Dusche des Grauens, in der er betrunken in Ohnmacht gefallen war, in der er sich aufgefangen hatte, in der er sich auf die Wange geschlagen und versucht hatte, sich ins Bewusstsein zurückzuholen.
Seine Stube war ebenfalls hässlich, der schöne beige Teppich war bald dreckig geworden, voller undefinierbarer Flecken, es war miserabel tapeziert, es hingen keine Gardinen am Fenster, man konnte auf den hässlichen Balkon schauen, der Abgrenzung zu den hässlichen Nachbarn war, die Frau links, die soviel rauchte, dass sie bald sterben würde, und die Familie rechts, die immer so laut war, dass man verrückt wurde. Er hatte keinen Kleiderschrank, nur Umzugskisten, die Kleider lagen wild durcheinander in und vor den Kisten, und das Zimmer war einfach auch eine Spur zu groß und er eine große Spur zu unwillig dort zu wohnen. Es war also alles mehr oder weniger hässlich, und so war auch er in Gefahr gewesen, hässlich zu werden.