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Σχολείο

Einmal wurde ich in der Grundschule gelobt. Es ging, völlig blödsinnigerweise, darum, wer die gelernten Zahlen am schönsten an die Tafel schreiben konnte. Es standen schon einige Zahlen an der Tafel und dann kam ich dran. Ich sollte eine 5 schreiben. Und sie war perfekt. Sie war wunderschön. Es waren perfekte Abstände, perfekte Rundungen, es war die schönste 5 der Welt. Meine Klassenlehrerin lobte mich sehr und schaute die 5 sehr lange an. Es war der schönste Grundschultag meines Lebens. Die 5 blieb mir dann in meiner Schulzeit treu.

Die Regel der sogenannten Innenbindung besteht heute noch, wenn ich durch derzeitige Oberstufler richtig informiert bin, sie beschreibt das vorgegebene Verhältnis zwischen den beiden Blöcken der vier Abiturfächer, die aus den beiden Leistungskursen, die einen Block bilden, bestehen, und aus dem dritten und vierten (mündlichen) Abiturfach. Innerhalb dieser Blöcke muss man eine bestimmte Punktzahl erreichen, ansonsten muss man in die Nachprüfung. Eingebunden in diese Regel ist die sogenannte Abweichungsregel. Sie tritt dann in Kraft, wenn man in der Abiturnote zu weit von der Vorbenotung (die aus den Noten des 1. Halbjahres in der 13 errechnet wird, oder?) abweicht. Langweiliges Geschwafel hier, du blödes Arschloch, höre ich schon Leute rufen, die sich die Mühe gemacht haben, bis hierher zu lesen. Aber diese story hat einen point.
Ich hatte mir, ein halbes Jahr bevor ich mein Gymnasium mit Abitur verlassen durfte, meinen Abiturdurchschnitt ausgerechnet, lag dann am Ende sogar richtig, nur bei den Abiturnoten hatte ich mich ziemlich vertan. Ich wich in meinem dritten Abiturfach Erziehungswissenschaften von der Vorbenotung zu weit ab (wie ich vorbenotet war, weiß ich nicht mehr, in der Abiturklausur hatte ich jedenfalls nur 4 Punkte) und musste in die Nachprüfung.
Herr W. hatte mich ziemlich auflaufen lassen. Dieses Arschloch kam, eine halbe Stunde nach Notenvergabe, im Foyer auf mich zu und sagte: „Aber Cut, was war denn mit Ihnen los, ihre Klausur war ja so schlecht! Eigentlich wollte ich ihnen nur 3 Punkte geben, aber Frau B. meinte dann bla und blubb...“ Ich hätte ihm in dem Moment am liebsten jedes einzelne seiner hässlichen Vollbarthaare ausgerissen und zum Fressen ins Maul gestopft. Was ich in Wirklichkeit getan habe, weiß ich nicht. Ich neigte dazu, Autoritäten in Form von Lehrern, die mich niedermachten, erniedrigt und verängstigt anzugrinsen, wofür ich mich im Nachhinein hasse.
Zuhause rechnete ich mir dann meine Chancen auf eine Verbesserung der Abiturnote (wofür diese Abweichungsregel ja auch sein soll) aus, und kam zu folgendem Ergebnis: Ab 9 Punkten und aufwärts in der mündlichen Prüfung hätte sich meine Abiturnote um eine Stelle hinter dem Komma gebessert, bei 8 bis hin zu 0 Punkten hätte sich nichts geändert. Das hatte ich auf dem Papier ausgerechnet, im Kopf rechnete ich mir die Chancen aus, 9 Punkte in der mündlichen Prüfung zu erreichen: Eigentlich war alles schon gelaufen, ich hatte keine Lust mehr zu lernen, ich hatte nur 8 Tage, in denen ich mich hätte aufraffen müssen, ich hatte nicht den Ehrgeiz meinen Abiturdurchschnitt um 0,1 zu verbessern, Herr W. würde es sich mit Sicherheit nicht entgehen lassen, mir noch einmal eins reinzuwürgen, also ließ ich das Lernen sein, erschien aber trotzdem zur mündlichen Prüfung und ließ dann Herrn W. auflaufen, denn ich verschränkte die Arme vor der Brust und sagte, wenn ich wollte, was, und wenn ich keine Lust hatte, sagte ich: Weiß ich nicht, Herr W., nächste Frage. Ich sah, dass Herr W. erschrocken war, er hatte mich schwitzen sehen wollen, doch mir war das alles ziemlich egal. Ich bekam in der Nachprüfung ebenfalls 4 Punkte, mein Abiturdurchschnitt änderte sich nicht und ich war endlich frei.

Am Vorabend liege ich auf meinem Bett, es ist draußen fast dunkel, kein Licht im Zimmer, nur der Fernseher, es läuft Akte X, meine Gedanken kreisen aber ständig um die Prüfung am nächsten Tag, die letzte Prüfung, dann habe ich es hinter mir. Aber ich kann nichts. Das ist mir sehr bewusst. Ich kann gar nichts. Ich weiß auch nichts. Ich werde zu den Aufgaben nichts sagen können, selbst mit 24859 Stunden Vorbereitung, aber man hat sowieso nur eine halbe Stunde. Dann stehe ich auf, wie eine Marionette, sehe das Buch auf meinem Schreibtisch, ich schlage es auf, es wirkt wie von Geisterhand bewegt, ich schaue auf die Kapitel, schaue auf die Wörter, aber ich lese nichts, die Ebene des Verstehens nach dem Lesen ist mir sowieso gänzlich fremd in diesem Fach, also vergehen keine zwei Minuten und ich klappe das Buch wieder zu. Als Foto festgehalten wäre dies das Sinnbild meiner Kapitulation vor der Prüfung: das Auf- und gleich wieder Zuschlagen des Buches.
Der nächste Morgen fließt wie Sirup an mir vorbei, ich schaue nicht viel auf, damit ich nicht aus meiner Selbsthypnose erwache, schwebe zur Schule, betrete den Großgruppenraum, in dem ich die Aufgaben vorbereiten soll, bekomme meinen Arbeitszettel, schmiere eine halbe Stunde lang Stichwörter auf einen Schmierzettel und werde dann geprüft. Die Momente des Betretens des Prüfungsraums sind aus meinem Gedächtnis ausgelöscht, ich kann mich erinnern, dass ich vor der Tafel stand, etwas anschrieb, darauf zeigte und versuchte es zu erklären, dass Herr S. dann zu mir sagte: „Wie sie wissen, haben Hamster ja auch ein Fell und verschiedene Hamster haben verschiedene Fellfarben.“ Es sollte eine geniale Überleitung zum Bereich Genetik sein, doch ich ließ mich nicht entspannen und beruhigen, ich sagte daraufhin: „Herr S., sie wollen jetzt sicher auf den Bereich Genetik hinaus, aber ich weiß nichts darüber, ich kann ihnen darüber nichts sagen.“ Auf-den-Bereich-Genetik-hinaus-wollen war eine gute Formulierung, der Bereich Genetik erschien mir in diesem Prüfungsraum wie der Ozean, auf den man ja auch hinaus will; aber die vorherige, sehr plumpe Offenbarung meines Nichtwissen ließ die drei Prüfer verdutzt dreinschauen, darauf waren sie wohl nicht vorbereitet, dass jemand tatsächlich nicht versuchen würde zu schwafeln, also fragte Herr S. mich über andere Themen aus, an die ich mich nicht erinnere. Und so endete irgendwann diese Prüfung und Stunden später holte ich mir die Note ab, und ich bekam tatsächlich 5 Punkte für mein Geschwurbel über Populationsdiagramme von Hamstern, ich musste die Direktorin zwei Mal fragen, damit sie mir auch bestätigte, dass ich 5 Punkte bekommen hatte. Ich frage mich heute noch, für was ich sie bekam.

Wahrscheinlich habe ich nicht so den Einblick in Statistiken, vielleicht fehlt mir das Verständnis dafür. Doch scheint es mir, als würden solche Projekte das zerbrechliche Gleichgewicht zwischen Schüler und Schule zerstören und den Unmut und die Unlust des Schülers, zur Schule zu gehen nur verstärken. Ich bin mir sicher, dass – heutzutage wahrscheinlich noch mehr als zur Zeit als ich zur Schule gegangen bin – viele Schüler mit Angstgefühlen im Bauch zur Schule gehen, und die werden durch solche „Modelle“ und „Projekte“ nur noch verstärkt. Dass man Kinder und Jugendliche, die ständig mehrmals die Woche die Schule schwänzen - und in der Zeit klauen - irgendwie dazu bringen muss, wieder zur Schule zu gehen, ist mir auch klar, doch sollte man vielleicht stärker nach den Ursachen des Schwänzens suchen, bei den Lehrern, zuhause usw. Ich habe damals im Gymnasium nicht oft geschwänzt, aber ab und zu, und wenn ich mir vorstelle, dass mich ein Polizist in der Stadt aufgegriffen hätte, dann wäre ich wahrscheinlich ausgerastet. Für mein Leben damals hätte das Aufgegriffen Werden in der Stadt oder sonst wo weitaus mehr Schaden angerichtet als etwas bewirkt. Ich hätte zuhause Ärger bekommen, beim Direktor antanzen müssen usw. Bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen ich geschwänzt habe… null Wirkung. Das Schwänzen hat meine schulischen Leistungen nicht verschlechtert.
Bei mir und vielen meiner Freunden hatte das Schwänzen meistens einen „legitimen“ Grund. Oftmals hatte man Probleme, war mit seinen Gedanken woanders und hätte im Unterricht eh nicht aufgepasst, also schwänzte man eine Stunde oder auch eine Doppelstunde. Manchmal ging es einem eben wirklich schlecht und man wollte nicht in den Unterricht und ging deswegen woanders hin. Wenn dann bei dir zuhause plötzlich Polizisten klingeln ist das für mich ein unbefugtes Eindringen in meine Privatsphäre, eine Unverschämtheit. Dann geht man wirklich mit tollen Gefühlen zur Schule, wenn die Polizei einen begleitet.
Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz in der Schule, dass alle Schüler unbewusst kennen und manche Lehrer auch. Diese Lehrer wissen, dass man nicht gleich den Rotstift rausholt, wenn man die Hausaufgaben vergessen hat, nicht gleich die Eltern benachrichtigt, wenn man in der Schule aufgefallen ist usw. Es muss eine bestimmte Pufferzone für den Schüler geben, einen Freiraum, in dem er sich bewegen und in dem er sich etwas erlauben kann.