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Mit der Ausgabe 328 sägt die SPEX an dem Ast, auf dem sie sitzt. Dieser Ast ist extrem dick und wird wahrscheinlich niemals abbrechen, aber erstaunlich ist, welches Sägeblatt sich die SPEX ausgesucht hat. Querschlagender Indie-Hype wie der um die Band HURTS wird auf Blatt 11 angesägt. Bevor das Album am 27. August 2010 erscheint, schreibt Walter W. Wacht: "Doch das Überphänomen der nuller Jahre, sich durch den Zugriff auf die freien Archive arbiträr selbst zu definieren, führt bei Hurts eben nicht zu Authentizismus. Dafür designen die beiden ihren Sound zu bereitwillig auf eine Weise breitwandig, glatt, rauschfrei und überhaupt so frei von Merkwürdigkeiten, wie man es in den Achtzigern noch gar nicht hinbekam." Neben einer für die breite Masse unangenehmen Genauigkeit den Sound der 80er betreffend, wird hier ein interessantes Licht auf den Begriff der Authentizität geworfen. Anstatt die Attribute "breitwandig, glatt und rauschfrei" zur Authentizität zu zählen, lese ich hier eher das "bereitwillig" als Hauptargument gegen HURTS. Was soviel heißt wie: bei genauerer Betrachtung - also auf Albumlänge - könne HURTS das nicht mehr halten, was die Hülle Zwei-Tracks-Hype verspricht.
Auf Blatt 21 dann der noch größere Skandal. Majestätsbeleidigung in Form von Kritik an ARCADE FIREs Promotionpolitik einhergehend mit der Entledigung aller Verschrobenheit, wie Sebastian Hammelehle das nennt. Und dabei hatten sich doch der Diskurs erst einmal zur Ruhe gesetzt und schon den Sieg durch ARCADE FIREs Stürmen der Chartspitzen eingefahren gesehen. Für die einen mögen ARCADE FIRE das das höchste der Indie-Gefühle sein, aber sie sind sicherlich nicht die Speerspitze der unabhängigen Musikszene, nicht mal was Montreal angeht (man denke nur an Silver Mt. Zion und Constellation Records). Weiterhin über Helene Hegemanns Praxis der Intertextualität, die allerorten für Aufsehen gesorgt hat, stellt diese Ausgabe der SPEX weitere Fragen nach einem in der Indie-Szene tiefsitzenden Wunsch nach Urpsrung und Echtheit, nach Abgrenzung gegenüber Kapitalismus und Materialismus. Die SPEX spielt da aber nicht mit. Anstatt all das diffus und im Dunkeln zu lassen und von dem Fundament der Abgrenzung allem gegenüber zu argumentieren, wird in dieser Ausgabe dann auf Blatt 107 noch einmal das Skalpell angesetzt: "Theatralität ist keinesfalls der Feind der Authentizität, sondern lediglich eine rivalisierende Strategie." Allein die Sprengkraft einer solchen Aussage könnte eine ganze Ausgabe füllen. Authentizität und Theatralität nebeneinander zu stellen und nicht das eine als sich minderwertig entfernenden falschen Katalog von Verhaltensweisen zu sehen, ist eine strukturalistisch anmutende Analyse von bisher als grundlegend geglaubten Voraussetzungen für den Indie-David gegen den Mainstream-Goliath. Dass das Eine im Anderen zu finden und daher danach zu suchen ist, zeigt die SPEX mit dieser Ausgabe ganz besonders und außergewöhnlich tiefschneidend. Das Suchen und der Zweifel ist etwas, das zu keiner Strömung passt und sich so gar nicht zu einer sich schon immer im Recht wähnenden Indie-Szene gesellen will. Dass die SPEX dies sich jetzt immer mehr auf die nicht vorhandenen Fahnen schreibt, ist umso bemerkenswerter. Sie wird dadurch nicht unnahbarer und aalglatt, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, sie wird dadurch wissenschaftlicher und pointierter, genauer und gewagter, und bewegt sich weg vom allzu ubiquitären Befindlichkeitsgeschreibsel.