Inwieweit das deutsche Publikum mit der Demontierung von geschichtlicher Identität in Tarantinos „Inglourious Basterds“ klarkommen wird, lässt sich anhand des heutigen Abends kaum absehen. Fakt ist jedoch, dass die wenigsten im Kino es lustig finden, wenn eine multinationale Gruppe von Soldaten Nazis abmeucheln und vorher lächerlich machen. Alles, was an guidoknoppscher Identitätsfindung zur Zeit in Deutschland betrieben wird, sieht man hier in klitzekleine Fetzen geschnitten, und das mit einer Engelsgeduld für Einstellungen und Kamerafahrten, egal ob es um das Essen eines Stück Strudels oder um die Skalpierung eines toten Soldaten geht. Es scheint schwierig zu sein, bei einem solch heiklen Thema vom üblichen Betroffenheitsverhalten loszulassen. Was an bisheriger Aufarbeitung – wenn man von so etwas sprechen kann – der Zeit des Zweiten Weltkrieges durch Film geleistet wurde, lässt eins deutlich werden: je authentischer man zu sein versucht, desto mehr entfernt man sich von einer Verarbeitung oder Darstellung – die Frage, ob so etwas überhaupt erreichbar ist oder wünschenswert einmal ganz ausgeschlossen. Bei der Auswahl von besonders an die historische Vorlage erinnernden Schauspieler und Schauplätzen, Dialogen und Ereignisabfolgen, geht des Regisseurs und/oder Autors Blick für eines verloren: es bleibt Film. Ob Hitler so aussieht wie Hitler, Goebbels wie Goebbels, oder ob ihre Gestik und Mimik besonders erinnernd nachgeahmt wird, wir sitzen im Kino und schauen einen Film. „Inglourious Basterds“ weist mit dieser gänzlich an Filmvorlagen vorbei weisenden Methode, dass Geschichtsschreibung keine eindeutige Sache ist. Suggerieren besonders in der jungen Vergangenheit gedrehte Filme wie „Der Untergang“ oder „Operation Walküre“, man könne geschichtliche Ereignisse besonders geschichtstreu nachstellen, nachdrehen oder abbilden, so zeigt „Inglourious Basterds“, dass dies gerade nicht der Fall ist. Einmal durch die im Film erzählte Geschichte: Wir sehen einen historischen Rahmen, der dem in der Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg gleich ist. Besetztes Frankreich, Jagd auf flüchtige Juden, D-Day an der Normandie etc. Gleichzeitig aber passieren im Verlauf des Films ein Haufen Sachen, die absolut nicht so gewesen sind, aber der Logik des Films überhaupt nicht widersprechen. Im Film selbst gibt es dann aber noch einen Film, der logisch vor sich geht und dann aber vollkommen die Richtung ändert. Geht man nach draußen und spricht mit Menschen über die Zeit von Problemen oder Elend, sei es im Krieg oder in der heutigen Gesellschaft, sagen sie: Nur im Film kann es anders enden, nur im Kino gibt es ein Happy End. Und so ist bei „Inglourious Basterds“ auch, aber dort findet das glückliche Ende wortwörtlich im Kino statt, nämlich im Gebäude indem dieser Film im Film gezeigt wird. Induziert wird dies aber durch eine Ankündigung, die von der Leinwand herab geschieht, die Anweisung Geschichte zu ändern, neu zu schreiben, neu zu verstehen. Für diesen Zweck werden in „Inglourious Basterds“ 350 Filme verbrannt (und unzählige Patronen verschossen). Um zu neuer Geschichte zu kommen, muss man verstehen, dass die Geschichte selbst keine Einheit ist. Sie ist eine Erschaffung und hat viele Väter. Und glaubt man, durch ein neues Buch, einen neuen Film, eine neue Dokumentation der Realität der Vergangenheit näher gekommen zu sein, sind dies nur Auslöser für wieder neue andere Bücher und Filme, die einen Strahl neuer Realitäten heraussprudeln. „Inglourious Basterds“ tut dies auf hundertfache Weise und verschiedenen Ebenen. Der Zwang genau und genauer zu wissen was damals passiert ist, oder auch nur die Vorstellung, man könne ein Wissen darüber erlangen was damals passiert ist, indem man einen Film schaut, ist hier vollkommen aufgehoben. Dies schafft die Voraussetzung, darüber zu reflektieren, was Kino für diese Vorstellung eines Wissens über Vergangenheit oder allgemein über Identität beigetragen hat.
20.08.2009, 23:26
/ Im Kino (gewesen)